Klassensolidarität statt Exit

Ergebnis langer Debatten: Die Mehrheitsposition von Syriza

Christos Laskos und Euclid Tsakalotos in Lunapark21 – Heft 30

Die EU umfasst die Integration der kapitalistisch entwickelten europäischen Länder. Sie ist eine strategische Koalition der herrschenden Klassen, die darauf aus sind, ihre Position gegenüber den USA und anderen kapitalistischen Formationen zu stärken, aber in erster Linie gegenüber ihren eigenen Arbeiterklassen. Die wesentliche Voraussetzung für die ungehinderte Kapitalakkumulation sind günstige Bedingungen für die Inwertsetzung des Kapitals, wozu der kapitalistische Wettbewerb zählt. Internationaler Wettbewerb ist für die Organisierung der bürgerlichen Macht eine geniale Strategie, weil dieser zur anhaltenden Reorganisierung der Arbeit antreibt und für die Eliminierung von wettbewerbsuntauglichen Einzelkapitalen sorgt, wovon am Ende das Gesamtkapital profitiert.

Um die Richtigkeit ihrer Position zu untermauern, weisen die politischen Befürworter der Exit-Strategie immer wieder gern darauf hin, dass es sich bei der EU um eine mächtige und autoritäre Einrichtung handelt, die kapitalistische Interessen begünstigt, was zweifelsfrei zutrifft. Worum es in der Debatte aber wirklich geht, ist doch die Frage, ob diese Einrichtung in erster Linie dazu dient, die Interessen der Ökonomien im Norden zu bedienen. Die durch die Einführung des Binnenmarkts und der Währungsunion verstärkte internationale Konkurrenz hat ja zu umfangreichen Restrukturierungen (in der Produktion, auf den Arbeitsmärkten etc.) geführt, von der das Kapital in allen Mitgliedsstaaten profitiert. Als die Krise ausbrach, akzeptierten die oberen sozialen Schichten in Griechenland, genauso wie ein Großteil der Mittelschicht, die Verschlimmerung der Einkommensungleichheiten, den Abbau sozialer Dienstleistungen, den Anstieg der Arbeitslosigkeit und das Umsichgreifen von Armut.

Die „Gleichheit bezogen auf die Unsicherheit“ (John Gray) hat zugenommen. So hat die Tatsache, dass sowohl die im Privatsektor als auch die im öffentlichen Dienst Beschäftigten unter der Austeritätspolitik zu leiden haben, ohne Zweifel dazu beigetragen, dass nun eine große Zahl von Menschen durch eine gemeinsame Erfahrung verbunden ist. Die besteht unter anderem in der Einsicht, dass individualistische Strategien nur noch begrenzt weiterhelfen. Was wir brauchen, ist ein Diskurs, der Klasse betont und nicht die Unterschiede zwischen den „Völkern“, und der über das Potenzial verfügt, die Facharbeitskräfte mit den prekär Beschäftigten und den Angestellten im Supermarkt zusammenzubringen. Mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Exit-Strategie verfolgte SYRIZA alles andere als die Absicht, „den Volkszorn zu besänftigen und einzuhegen“.

Wollen wir mehr Raum für Demokratie und demokratische Kräfte schaffen, müssen wir Wege finden, mit geteilter Souveränität umzugehen. Es ist überhaupt nicht abzusehen, ob die Rückgabe einiger Funktionen an den Nationalstaat zu mehr Autonomie für demokratische und alternative Initiativen führen wird. Es ist auch nicht so, dass nach Ausbruch der Krise Volkswirtschaften mit einer eigenen Landeswährung in der Lage gewesen wären, dem Druck der Finanzmärkte wesentlich besser zu widerstehen. Großbritannien ist hierfür vielleicht ein paradigmatisches Beispiel: Obwohl das Land eine unabhängige Geldpolitik betreiben konnte, wurden auch hier umfassende Austeritätsmaßnahmen durchgesetzt.

Unterm Strich kommt es also immer auf das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen an. Daher sollte neben der Frage der Demokratisierung das zweite große Thema für die Linke und die Arbeiterbewegungen in Europa sein, wie es gelingen kann, über nationale Grenzen hinweg Bündnisse zu schmieden. Diejenigen, die sich gegen eine Exit-Strategie ausgesprochen haben, betonen diese zweite Herausforderung. Den Bruch, den SYRIZA mit ihrem Programm und einer Regierungsübernahme anvisiert, kann die Linke – so sind sich fast alle einig – nur dann überleben, wenn sie ein hohes Maß an internationaler Solidarität mobilisieren kann.

Einigen im Exit-Lager gefällt es, ihren Ansatz in die Tradition des linken Internationalismus zu stellen. Deswegen wird auch immer mal wieder hervorgehoben, dass Griechenland das schwächste Glied in der kapitalistischen Kette sei und dass ein radikaler Bruch Griechenlands mit der Eurozone anderswo zu einer Radikalisierung bestehender Initiativen beitragen könnte. Aber dass man eine Strategie, die zumindest im Anfangsstadium von einer Währungsabwertung abhängig ist, um die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft zu steigern, als eine Übung im Internationalismus verkauft, ist nicht wirklich überzeugend.

Gekürzt nach: Christos Laskos/Euclid Tsakalotos, Wie sich der Karren aus dem Dreck ziehen lässt. (www.rosalux.de) Erstveröffentlichung englisch: Crucible of Resistance. Greece, the Eurozone & the World Economic Crisis, Pluto Press, London 2013, Kapitel 6

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