Interview: „Fast ausschließlich auf Leiharbeit gesetzt“

Aus: LunaPark21 – Heft 18

Die WISAG-Tochter GlobeGround ist ein Vorreiter bei der „Flexibilisierung“. Ein Gespräch mit Jens Gröger, Gewerkschaftssekretär bei ver.di und zuständig für die Bodenverkehrsdienste an den Berliner Flughäfen

[LP21] Das Unternehmen GlobeGround Berlin ist in Tegel und Schönefeld für das sogenannte Ground handling zuständig – früher hieß das Abfertigung – und hat dort einen Marktanteil von 80 Prozent. Wie viele Beschäftigte arbeiten dort derzeit?

[JG] Vor zweieinhalb Jahren hatte die GlobeGround rund 2000 Arbeitnehmer. Heute sind es 1500 plus 500 Leiharbeiter. Vorher gab es auch Leiharbeit, aber nicht in dieser Größenordnung, da ging es tatsächlich um die vorübergehende Abfederung von Auftragsspitzen.

[Lp21] Kann der Betriebsrat gegen eine Ausweitung der Leiharbeit in einem derartigen Ausmaß nichts unternehmen?

[JG] Nach meiner Kenntnis hat der Betriebsrat in jedem Einzelfall beim Arbeitsgericht Klage erhoben. Bis November 2011 war die Rechtslage aber so, dass Unternehmen Leiharbeiter einsetzen konnten, wie es ihnen passte. Seit 1. Dezember heißt es nun im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, dass der Einsatz von Leiharbeitern „vorübergehend“ sein muss. Allerdings hat der Gesetzgeber nicht konkretisiert, was das genau heißt. Das müssen nun die Gerichte klären. Dann kommt GlobeGround sicherlich in Schwierigkeiten. Das Unternehmen stellt sich jetzt schon auf die neue Rechtslage ein, denn man schwenkt um von der Leiharbeit in Richtung Werkverträge. GlobeGround versucht damit, die Risiken auf die Werkvertragsfirmen abzuwälzen. Teilweise läuft das sogar innerhalb des Konzerns. Der „Keller“ in Tegel – das sind die Leute, die die Koffer in die Flugzeuge packen – wurde über einen Werkvertrag an die „WISAG Aviation Services“ (WAS) vergeben. Die WAS ist genau wie die GlobeGround eine hundertprozentige Tochter der WISAG. Nach der alten rechtlichen Konstruktion hat die WAS Leiharbeiter an die GlobeGround überlassen. Jetzt beauftragt die GlobeGround die WAS per Werkvertrag, eine bestimmte Leistung zu erbringen. Für die Beschäftigten kommt es aufs selbe raus.

[LP21] Wie sieht die Tarifsituation bei der GlobeGround aus?

[JG] Was den Entgelttarifvertrag betrifft, haben wir im Frühjahr einen aus meiner Sicht guten Abschluss hinbekommen, mit drei Prozent für die Stammbelegschaft und fünf Prozent für die aus der Billigtochter Ground Service International wieder in die GlobeGround integrierten Kollegen. Negativ ist, dass der Arbeitgeber Mitte April entschieden hat, die GlobeGround in drei bis vier rechtlich selbständige Einheiten aufzuspalten. Bereits vor drei Monaten wurde die Werkstatt ausgegliedert. Und seit dem 1. Mai sind die Bereiche Passage und Ground Handling rechtlich verselbständigt. Die GlobeGround selbst bleibt als Holding erhalten, so dass wir es jetzt mit vier Unternehmen zu tun haben. Wir hatten natürlich die Befürchtung, dass der Arbeitgeber die Aufspaltung zur Tarifflucht nutzen würde. Das ist bislang nicht der Fall: Wir konnten einen Anerkennungstarifvertrag abschließen, der regelt, dass alle Tarifverträge der GlobeGround auch bei den neuen Tochterfirmen Anwendung finden.

[LP21] Das gilt auch für Neueinstellungen?

[JG] Ja. Lediglich das Problem der Leiharbeiter macht uns dort Sorgen. Für Kollegen, die aus anderen WISAG-Töchtern überlassen werden, gelten andere Tarifverträge. So haben wir etwa bei der GlobeGround die Vereinbarung, dass bei einer Vollzeittätigkeit eine Schicht mindestens sechs Stunden lang sein muss. Das haben andere WISAG-Töchter nicht. Die Kollegen von diesen Gesellschaften werden zu sogenannten geteilten Diensten verpflichtet, das heißt, die fahren zweimal am Tag zur Arbeit. Das ist aus unserer Sicht natürlich nicht akzeptabel. Und darüber macht der Arbeitgeber Extragewinn, denn je flexibler er die Arbeitskräfte einsetzen kann, desto billiger werden sie für ihn.

[LP21] Und was steht in den individuellen Arbeitsverträgen?

[JG] Das Gros der Beschäftigten hat nur Teilzeitverträge: 32, 30, 25 Stunden. In den letzten Jahren wurde dann kaum noch eingestellt, sondern fast ausschließlich auf Leiharbeit gesetzt.

Interview: Jörn Boewe

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