Im Interesse der werktätigen Frauen?

In der IG Metall gibt es Arbeitszeitverkürzung und noch flexiblere Arbeitszeiten

(Aus: LP21 Heft 41)

Freilich ist es ein großes Verdienst, dass die IG Metall nach über 30 Jahren die Diskussion um Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit wieder aufgenommen hatte. Dafür – und natürlich für die Erhöhung der Löhne – sind Metallerinnen und Metaller massenhaft in die 24-Stunden-Warnstreiks gegangen. Die Forderung der IG Metall war mit sechs Prozent Lohnerhöhung und der Möglichkeit der individuellen und befristeten Arbeitszeitverkürzung auf 28 Stunden wöchentlich bei teilweisem Lohnausgleich für Schichtarbeiter und Menschen mit „Familienpflichten“ hoch.

Wahloptionen für moderne Arbeitszeitmodelle“

Das schrieben die Metallbeschäftigten auf ihre Banner. Die IGM schaffte es, massenhaft für den Streik zu mobilisieren und ihren aufgestellten Forderungen Nachdruck zu verleihen. Dass die Arbeitgeber enorm blockierten, gehört zum Streik dazu. Das früher gebrauchte Hauptargument, eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit würde die deutsche Industrie zu Grunde richte, griff diesmal nicht, weil die Unternehmen in Deutschland gerade erhebliche Gewinne realisieren und Lohnforderung und Arbeitszeitverkürzung daraus locker finanzieren könnten. Sie forderten dennoch eine Ausweitung der Arbeitszeit und lehnten einen materiellen Ausgleich für individuelle Arbeitszeitverkürzung ab. Das verwundert nicht, schließlich sind sie in einer kapitalistisch organisierten Produktion nicht dafür zuständig, die Betreuung von Kindern und die Pflege von Angehörigen zu finanzieren. Dafür waren seit Beginn der Industrialisierung Frauen zuständig. Und vor allem die Männergewerkschaften forderten meist ein Familiengehalt, damit die männlichen Lohnabhängigen Frauen und Kinder ordentlich ernähren können. Nicht wenige stritten für das Verbot der Frauenerwerbsarbeit. Die proletarische Frauenbewegung forderte dagegen die ökonomische Unabhängigkeit für Frauen und „dass die Arbeitszeit, welche jedes Individuum der Gesellschaft widmen muss, verringert wird“ (Clara Zetkin). Insofern war es einerseits ein Paradigmenwechsel, Erwerbsarbeitszeitverkürzung für Arbeitskräfte mit Sorgepflichten zu fordern, weil Frauen als werktätige Individuen in den Kampf einbezogen wurden. Andererseits weicht die Forderung nach individueller Verkürzung von den Bestrebungen der Arbeiterbewegung ab, die sich stets darauf richteten, die betrieblichen Arbeitszeiten zu standardisieren und zu verkürzen und damit den Arbeitstag für alle erträglicher zu gestalten.

Unterstützung erfuhren die Streikenden durch Wissenschaftler (die Erstunterzeichner waren ausschließlich Männer). Diese begrüßten die Forderung nach der individuellen Arbeitszeitverkürzung aus Gründen der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und wegen der damit verbundenen Entlastung des Arbeitsmarktes. Sie verwiesen auf die bestehende und durch weitere Digitalisierung zu erwartende Erwerbslosigkeit. Allerdings war bei den IG-Metall Forderungen keine Rede von einem Personalausgleich für die in Teilzeit gehenden Beschäftigten und von der Notwendigkeit einer Bekämpfung von Erwerbslosigkeit und prekärer Beschäftigung.

Auch die Attac-AG ArbeitFairTeilen unterstützte die Forderung nach der 28-Stunden-Woche als wichtigen Schritt in Richtung der Forderung nach dem „Guten Leben für alle“. Sie begrüßte, dass das Thema Arbeitszeitverkürzung wieder aus dem Winterschlaf erweckt wurde. Ihrer Forderung nach einer Abkehr von der Wachstumsideologie und nach „mehr Zeit für sich selbst, für Familie und das soziale Umfeld“ kam das entgegen. Gleichzeitig wurde jedoch bedauert, dass es eine „neue Normalarbeitszeit zwischen 28 und 35 Stunden für alle“ gefordert wurde, so Margarethe Steinrücke.

Entlastung von Familien

Die Familien vor allem sollten entlastet werden. Schließlich stand und steht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf seit vielen Jahren im Mittelpunkt der familienpolitischen Diskussionen. Auch wenn in den letzten Jahren die Zahl der Kleinfamilie als Haushaltsmodell stark rückläufig ist; die Rollenaufteilung zwischen den Geschlechtern hat sich kaum verändert. Familienleben und Berufstätigkeit in eine gute Balance zu bringen, ist für die Betroffenen (weit überwiegend Frauen) eine Herausforderung. Dem wollte sich auch der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann stellen, wenn er sagte: „Die Beschäftigten wollen selbstbestimmte Arbeitszeiten, die zu ihrem Leben passen, und wir wollen einen Anspruch darauf durchsetzen“. Das klang modern. Kein Wunder, dass fast die gesamte Medien-Landschaft positiv reagierte.

Die Forderung gefiel auch Andrea Nahles, bis vor kurzem Arbeitsministerin. Sie verwies darauf, dass in vielen Familien heute beide Partner arbeiteten und immer mehr Menschen sich wünschen, dass sie ihre Arbeitszeit „selbstbestimmt flexibler gestalten können”. Die Wirtschaft müsse den Lohnabhängigen entgegenkommen, wenn sie den Fachkräftemangel wirksam bekämpfen wolle. Auch die SPD hatte im Wahlkampf dafür geworben, dass Berufstätige, die wegen ihrer Kinder oder wegen der Pflege von Angehörigen im Job kürzertreten wollen, eine finanzielle Unterstützung vom Staat bekommen sollten, die zumindest einen Teil des Lohnausfalls ausgleicht. Und die Grünen plädierten für eine flexible Vollzeit in einem Korridor von 30 bis 40 Stunden sowie die Einführung einer Pflegezeit mit Lohnersatzleistung. Zustimmung fand das Ansinnen der IG Metall, flexible Arbeitszeitmodelle zu etablieren auch beim Sozialflügel der CDU: „Denn klar ist doch auch, viele Berufstätige brauchen in bestimmten Lebensumständen mehr Zeit, beispielsweise für die eigenen Kinder oder für die Pflege der eigenen Eltern“, so der CDA-Chef Karl-Josef Laumann. Er begrüßte, dass man durch solche Regelungen in Tarifverträgen, keine für alle gültigen Gesetzesregelungen brauche. Es gehe um Flexibilisierung, den „demografischen Wandel“, den Pflegenotstand und um die Kinderwunschpolitik.

Es geht um Umverteilung

Frauen in den Gewerkschaften forderten schon während der Arbeitszeitkämpfe der 1980er Jahre eine radikale Verkürzung der Wochenarbeitszeit im Bereich der Vollerwerbsarbeit (Sechs-Stundentag), eine Begrenzung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit und der Mehrarbeit sowie den Abbau von Schichtarbeit. Denn viele Frauen hatten schon damals verkürzte Erwerbsarbeitszeiten, Teilzeitarbeit, flexible Arbeitszeiten und prekäre Arbeitsbedingungen; ohne Lohnausgleich. Und nicht alle hatten ein „Vereinbarkeitsproblem“. Die IG Metall, die lange Zeit gegen die Flexibilisierung der Arbeitszeit gekämpft hat, wollte mit ihren Tarifforderungen nun auf die flexible Arbeitsgestaltung Einfluss nehmen und sie nach den Interessen der Beschäftigten gestalten. Damit ist sie vom Ziel der allgemeinen Arbeitszeitverkürzung im Bereich der Vollerwerbsarbeit abgerückt – ebenso wie von der Solidarität zwischen Erwerbsarbeitenden und Erwerbslosen.Die Erwerbslosigkeit in Deutschland ist noch immer, besonders unter den Jugendlichen hoch, Hunderttausende Geflüchtete sind noch nicht integriert; es gibt versteckte Erwerbslosigkeit in Form von Minijobs, befristeter und unregelmäßiger Beschäftigung, ungewollter Teilzeitarbeit, Frühverrentung etc. Durch die zu erwartende Digitalisierung (Industrie 4.0) werden erneut Erwerbsarbeitsplätze eingespart werden.

70 Prozent der geringfügig und prekär Beschäftigten sind noch immer Frauen. Und (nicht nur) sie würden gerne längere Zeiten in der Erwerbsarbeit verbringen, das zeigen viele Untersuchungen. U. a. kommt eine Auswertung des Statistischen Bundesamt zu den Arbeitszeitwünschen von Erwerbstätigen zu dem Ergebnis, dass rund 1,2 Millionen Vollzeitbeschäftigte und 1,4 Millionen Teilzeitbeschäftigte in Deutschland gerne mehr arbeiten würden, als sie es derzeit tun. Dagegen gibt es nur gut eine Million Vollzeitbeschäftigte, die gerne ihre Arbeitszeit verringern würden. Zwar beziehen sich diese Zahlen auf die Gesamtwirtschaft. Das Ergebnis, dass auch eine Lockerung der tariflichen Arbeitszeit „nach oben“ unter Arbeitnehmern Zuspruch finden würde, trifft sicher auch für manche Arbeitskräfte in der Metallbranche zu. Das bestätigt auch die IGM. Ihren Erkenntnissen zufolge wird die Obergrenze von 40 Stunden schon heute in vielen Betrieben überschritten.

Mehr Selbstbestimmung bei der Erwerbsarbeitszeit – das Tarifergebnis

Mit dem Tarifergebnis haben wir weitreichend die Ziele erreicht, die wir uns gesteckt hatten. Es bringt den Beschäftigten ein dickes Plus im Geldbeutel, mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit und die Arbeitgeber leisten einen Beitrag für Gesundheit und Vereinbarkeit“. So der Vorsitzende der IG Metall. Die 900.000 Beschäftigten im Pilotbezirk erhalten 4,3 Prozent (statt der geforderten 6 Prozent) mehr Geld und einen Anspruch auf verkürzte Vollzeit.

In anderen Tarifgebieten haben IG Metall und Arbeitgeber das Verhandlungsergebnis aus dem Pilotbezirk Baden-Württemberg übernommen. Hervorgehoben von den Funktionären wird vor allem der Anspruch auf verkürzte Vollzeit für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie. Ab 2019 haben alle Vollzeit-Beschäftigten mit mindestens zwei Jahren Betriebszugehörigkeit einen individuellen Anspruch – der auch abgelehnt werden kann – auf eine verkürzte Vollzeit: Sie können ihre Arbeitszeit für mindestens sechs und maximal 24 Monate auf bis zu 28 Wochenstunden reduzieren. Mit ihrer Forderung nach befristeter Teilzeit bei gleichzeitigen Lohnzuschüssen für bestimmte Beschäftigte konnte sich die IG Metall nicht durchsetzen. Von vollem Lohnausgleich kann keine Rede sein. Beschäftigte, die Kinder erziehen, Angehörige pflegen oder im Schichtdienstarbeiten, können wählen, ob sie statt des tariflichen Zusatzgeldes acht freie Tage nehmen wollen. Zwei Tage davon finanziert der Arbeitgeber. Nach der zeitweisen Reduzierung ihrer Erwerbsarbeitszeit haben sie das Recht, zu ihrer ursprünglichen Arbeitszeit zurückzukehren. Das ist eine Verbesserung gegenüber den Frauen, die schon lange um ein gesetzliches Recht nach einer Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit auf ihren Vollerwerbsarbeitsplatz zurückkehren zu können, kämpfen. Sie werden weiter kämpfen müssen.

Die Arbeitgeberseite brüstet sich damit, auf die Bedürfnisse der Beschäftigten eingegangen zu sein. Dies helfe den Mitarbeitern, „berufliche und private Lasten gleichermaßen zu schultern“. So stellt sich die Arbeitgeberseite einer immer noch und immer wieder aktuellen sozialpolitischen Herausforderung wie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und brauchen sich nicht von der Politik Gesetze vorschreiben zu lassen. Auch der Verhandlungsführer und IG Metall-Bezirksleiter, Roman Zitzelsberger, zeigte sich zufrieden. Es sei gelungen, „gegen den Widerstand der Arbeitgeber Verbesserungen für Beschäftigte mit Kindern, zu pflegenden Angehörigen und in restriktiven Arbeitszeitmodellen wie Schichtarbeit zu erreichen“.

Dass die Betriebe nach dem Tarifabschluss bei Bedarf für deutlich mehr Beschäftigte als heute die Arbeitszeit auch verlängern dürfen, d. h. verstärkt 40-Stunden-Verträge abschließen können, findet kaum Erwähnung. Auf die Gefahr, dass Familienväter mehr arbeiten, und Frauen, die hauptsächlich noch immer für die Sorgearbeit für Kinder und pflegebedürftige Angehörige zuständig sind und die die Erwerbsarbeitszeitverkürzung in Anspruch nehmen, hatten Gewerkschaftsfrauen schon früher hingewiesen. An der geschlechtsspezifischen Verteilung der Arbeitszeit in Produktion und Reproduktion wird sich kaum etwas ändern. Dazu braucht es anderer Modelle. Vor allem sind dafür kollektiv kürzere Erwerbsarbeitszeiten für alle Geschlechter im Bereich der Vollerwerbsarbeitszeit und eine Umverteilung der Sorge- und Pflegearbeiten, ebenfalls auf alle Geschlechter und zwar nicht nur individuell, sondern auch kollektiv, notwendig. Dass das keine entfernte Utopie ist, zeigen Untersuchungen der Universität Flensburg und der Arbeitnehmerkammer Bremen. Bei Realisierung der Erwerbsarbeitszeitwünsche würden in Deutschland die geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich der Erwerbsbeteiligung um mehr als vier Stunden schrumpfen. Damit würde auch die Möglichkeit zur egalitären Verteilung der unbezahlten Arbeiten wachsen. Allerdings muss sich dann auch das traditionelle Familienbild ändern.

Gisela Notz, Redaktion Lunapark21. Jüngere Veröffentlichungen u.a. „Kritik des Familismus. Theorie und soziale Realität eines ideologischen Gemäldes“ (Stuttgart 2015; Schmetterling, 222 Seiten, 12,00 Euro; „Theorien alternativen Wirtschaftens, Fenster in eine andere Welt“; (2.,akt. Auflage; Stuttgart, 2012; Schmetterling), 192 Seiten, 12,00 Euro. Das letztgenannte Buch ist auch als Werbegeschenk bei Abschluss eines LP21-Neuabos erhältlich.

 

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