Hermes & Ares

Winfried Wolf. Lunapark21 – Heft 26

Wochenlang gab es ein hörbares Wehklagen der deutschen Industrie angesichts der einigermaßen harten Politik des Westens gegen Russland in der Ukraine-Krise. Immerhin gingen 2013 deutsche Exporte im Wert von 36 Milliarden Euro nach Russland, womit das Land auf Rang 11 unter den wichtigen Exportmärkten deutscher Unternehmen steht. Nach einigem Hin und Her scheint sich am Ende allerdings die „nationale“ gegen die „primär ökonomisch bedingte Politik“ durchgesetzt zu haben: Die Berliner Regierung vollzog weitgehend einen Schulterschluss mit den USA und der Nato und hielt damit auch die EU auf dieser einigermaßen harten Linie. Wie erklärt sich dieser „Primat des Politischen“, wie das BDI-Chef Grillo nannte? Die zwei Elemente erstens Hermes und zweitens Ares können dabei als Erklärung dienen.

Hermes: Ein großer Teil der deutschen Exporte nach Russland sind mit Hermes-Krediten abgesichert. Bei diesen nach dem griechischen Gott Hermes, der auch für Handel steht, benannten Krediten handelt es sich um staatliche Bürgschaften für Lieferungen ins Ausland, hier nach Russland. Wenn der Empfänger nicht bezahlt, springt der Staat ein. Die Süddeutsche Zeitung bilanzierte: „Die Sorgen vieler deutscher Exporteure werden so durch die Rückendeckung der Steuerzahler gelindert.“ (13.5.2014).

Ares: Wenn deutsche Unternehmen „in Frieden“ ihre Ostgeschäfte machen wollen, können die transatlantischen Freunde Deutschlands auch mit dem Kriegsgott Ares drohen. Als Siemens-Chef Anfang Mai in Moskau demonstrativ Putin besuchte, erschien in der britischen Financial Times vom 9. Mai ein Leitartikel mit der Überschrift „German angst is leading Europe back to Yalta“ (Gemeint etwa: „Die typisch-deutsche Angst führt Europa zurück zur Geopolitik à la Jalta 1945, als die westlichen Siegermächte gemeinsam mit Stalin an einer Nachkriegsordnung bastelten“). In diesem Artikel wurde offen gedroht: „Natürlich hat Deutschlands Industrie große Interessen in Russland. Aber sie ist auch auf US-Geschäfte angewiesen. Mein Tipp lautet: Herrn Kaesers Bewunderung für Putin würde dann schnell verblassen, wenn westliche Sanktionen die weit größeren Siemens-Geschäfte in den USA bedrohen würden.“ Wie durch eine Zauberhand geführt tauchte nun Jeffrey Immelt, der Boss des wichtigsten US-Industriekonzerns GE, in Paris auf, um für ein Bündnis zwischen GE und Alstom, dem angeschlagenen französischen Elektrokonzern und TGV-Hersteller zu werben. Von vornherein war klar: Das GE-Gebot richtete sich direkt gegen Siemens. GE will damit auf dem europäischen Stammmarkt von Siemens den deutschen Elektrokonzern und ICE-Hersteller herausfordern. Es folgte eine sechswöchige Bieterschlacht, in die sich die Regierungen in Berlin und Paris mehrmals direkt einschalteten. Am Ende Juni obsiegte GE auf der ganzen Linie. (Siehe S. 18).

Einen Höhepunkt transatlantischer Machtdemonstration gab es am 16. Juni 2014 im Nobelhotel Hyatt in New York. Die Chefin des deutschen Anlagebauers Trumpf, Nicola Leibinger-Kammüller, erhielt dort die John-McCloy-Auszeichnung des American Council on Germany für „außerordentliche Beiträge zur Stärkung der deutsch-amerikanischen Beziehungen“. An der Preisverleihung nahmen auch der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Stephan Schwarzman, Chef des Private Equity-Riesen Blackstone, teil. Frau Leibinger-Kammüller sagte laut Handelsblatt (2.6.2014) mit deutlicher Anspielung auf Kaeser, es bereite ihr „Sorgen, dass viele deutsche Manager auf Russlands derzeitige Außenpolitik bestenfalls mit Gleichgültigkeit reagieren“. Bravo und brav! Blackstone-Chef Schwarzman äußerte danach: „Das war die beste Rede, die ich jemals gehört habe.“

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