Fahren, fahren auf der Autobahn…

… in Spanien

Grundsätzlich gilt: Straßen ziehen Verkehr an. Deshalb ist privates Kapital am Bau beziehungsweise am Betrieb von Straßen interessiert, um auf diese Weise Profit zu erwirtschaften. Dass es auch anders geht, zeigt der Straßenbau in Spanien. Es müssen nur viel zu viele Straßen gebaut werden. Und das geht so.

Die drei Fotos zeigen drei am Mittelmeer entlang im Abstand von wenigen hundert Metern parallel verlaufende Straßen. Das Verkehrssystem Spaniens (das gilt für Autos und Züge) ist auf Madrid als Zentrum zulaufend radial oder sternförmig aufgebaut. Einzige Ausnahme ist der sog. Mittelmeerkorridor, der von der französisch-spanischen Grenze kommend über Barcelona, Valencia und Malaga immer am Mittelmeer entlang bis zur Straße von Gibraltar verläuft und damit die am dichtest besiedelten und wirtschaftliche wichtigsten Regionen Spaniens (mit Ausnahme von Madrid) verbindet. Hier wird die Landwirtschaftsproduktion Andalusiens per LKW nach Norden transportiert. In Valencia und Barcelona wird der Überseehandel abgewickelt.
Das Foto 1 zeigt die AP 7, eine mautpflichtige private Autobahn an einem beliebigen Wochentag am späten Vormittag: praktisch leer. Wer hier entspannt mit den erlaubten 120 km/h entlangfährt, hat die Autobahn fast für sich und legt auch sicher 120 Kilometer in einer Stunde zurück. Der Weg vom Flughafen Barcelona bis Vinaros, wo das Foto entstand, der 193 Kilometer beträgt, kostet 25,82 Euro. Foto 2 zeigt die Nationalstraße N 340, vom Staat betrieben und kostenfrei zu befahren, im gezeigten Teilstück neu, wenn auch nur einspurig ausgebaut. Ausgebaute Nationalstaaten (praktisch ampel-und kreuzungsfrei und noch besser die staatlichen sog. autovias (wie Autobahnen, nur kostenfrei) erlauben ebenfalls ein rasches Fortkommen. Allerdings hier zusammen mit praktisch dem gesamten LKW-Verkehr, der die kostenpflichten Autobahnen (autopistas), von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht benutzt. Foto 3 zeigt die alte N 340, jetzt N 340a, die ebenfalls parallel, aber näher an den Städten läuft, nicht kreuzungsfrei ist und heute den innerörtlichen Verkehr und den Verkehr zwischen Nachbarorten aufnimmt. Ein für den Verkehr großartiges System. Nicht jedoch für den privaten, kapitalistischen Betreiber einer Autobahn.

Wie hat sich dieses System entwickelt? War die Verkehrsinfrastruktur vor Eintritt Spaniens in die EU noch miserabel entwickelt, so änderte sich dies schlagartig mit dem Eintritt Spaniens in die EU und dem entsprechenden Zugriff auf die Infrastrukturfonds. Zwischen 1986 und 2005 erhielt Spanien 118 Milliarden Euro aus diesen Töpfen. Relativ schnell begann der Staat mit diesem Geld neben den älteren privaten Autobahnen, die am Mittelmeer teilweise schon bestanden, autovias zu bauen. Gleiches gilt für wichtige Verbindungen, die von Madrid ausgehen, so z.B. zur ´Badewanne´ Madrids, Valencia, wo eine autopista und eine autovia parallel durch dünn besiedelte Gebiete geführt, diese beiden Städte verbinden.

Als die Strukturfonds-Gelder für Spanien nach der Ost-Erweiterung weniger wurden, wurde das Modell wieder auf privaten Autobahn-Bau umgestellt. Motiv hierfür war jedoch am Wenigsten die Verbesserung der Verkehrswege, da es schon Straßen genug gab. Motiv war (und ist) die Umleitung von Steuer- (und immer noch EU-Geld) in die Taschen der Bauwirtschaft und der Politiker. Um dies zu verstehen ist folgendes wichtig: Der Bau von einem Kilometer Straße kostet in Spanien doppelt so viel wie in Deutschland, rund 6 Millionen Euro je Kilometer. Da das Kostenniveau im spanischen Bausektor an sich nicht höher ist als in Deutschland, stehen – mindestens – 3 Millionen Euro je Kilometer zur anderweitigen Verteilung zur Verfügung. Diese wandern als Extra-Profite in die Taschen der Autobahn-Betreiber, die im Wesentlichen mit den großen spanischen Baufirmen identisch oder eng verflochten sind. Um kein Eigenkapital zu verbrauchen, werden die Baukosten als Kredite von Banken aufgenommen. Die Banken waren hierzu nur bereit, weil es die Autobahnbetreiber (mit den Banken) organisiert haben, dass der Staat im Fall der Insolvenz zu 100 Prozent für das als Kredit aufgenommene Geld bürgt.

Dieser Fall tritt gerade bei 625 Kilometern, der insgesamt 2538 bestehenden mautpflichtigen Autobahnkilometern ein. Im Wesentlichen handelt es sich hier um sechs Autobahnabschnitte, die Außenbezirke mit Madrid verbinden. Diese kamen besonders schnell in die Schieflage, weil nicht nur die Madrider lieber die parallel laufenden kostenfreien autovias auf dem Weg zur Arbeit nutzen, sondern noch mehr, weil mit der Wirtschaftskrise die Staus weniger wurden und die zehntausenden Apartments im Großraum Madrid, die staufrei, wenn auch kostenpflichtig, ans Zentrum angebunden werden sollten, unfertig und somit unbewohnt blieben.

Den Schaden haben die Steuerzahlenden – es geht bei diesen 625 Kilometern um einen Betrag von 5 bis 6 Milliarden Euro – da die Banken jetzt ihre Bürgschaften ziehen. Brüssel verlangt von Madrid, dass es diesen Betrag an anderer Stelle einspart. Gleichzeitig empfiehlt Brüssel, auch die autovias zu privatisieren.

Handelt es sich um einen Fall von eklatanter, politischer Fehlplanung? Aber nein. Bei den 6 Millionen Euro je Kilometer war genug Geld enthalten, um auch die Politiker, die dieses System (mit-) ersonnen und betrieben haben, nicht leer ausgehen zu lassen.

Der Fall liegt ähnlich wie bei den zahlreichen Geisterflughäfen (z.B. Castellon, das ist die Hauptstadt des Regierungsbezirks, in dem die auf den Fotos gezeigten Straßen liegen). Oder im Fall der Schnellbahnstrecken, bei denen pro Zug einige wenige Menschen von Madrid nach Galizien rasen.

Die Zeche zahlt die Steuern zahlende spanische Bevölkerung.

Zur Freude dieser, wenn sicher auch zum Bedauern der anderen genannten Gruppen, ist dieses System arg ins Stocken geraten. So wurden im Jahr 2016 nur ganze 14,2 km neue autovias für den Verkehr freigegeben. Damit dies nicht so bleibt, wurden beim EU-Fonds für bessere Verbindungen (CEF) 308 Millionen Euro beantragt. Natürlich für Straßen. Zusammen mit 200 Millionen Euro aus dem spanischen Haushalt könnten auf diese Weise immerhin rund 90 Kilometer neue autovias (dann wohl als vierte Parallelbahnen) in die Landschaft asphaltiert werden. Nur als kurios kann im Übrigen bezeichnet werden, wenn die EU in dem genannten Fonds CEF (Connecting Europe Facilities) Projekte für Verbindungen im Bereich Verkehr, (alternative) Energien und Telekommunikation zusammenfasst.

Spanien ist Autobahn-Rekordhalter
Spanien rühmt sich, Autobahn-Rekordhalter in Europa zu sein. Insgesamt verfügt das Land über ein Autobahnnetz von 15.048 km Gesamtlänge (davon 2.538 km Maut-Autobahnen; siehe Artikel). Erst an zweiter Stelle kommt Deutschland mit 12.917 km und dann Frankreich mit 11.882 km. Nun ist Spanien gemessen an der Fläche rund 40 Prozent größer als Deutschland (allerdings im Übrigen etwas kleiner als Frankreich). Doch bei der Zahl der Pkw gibt es enorme Unterschiede: In Spanien macht der „nationale“ Bestand 22 Millionen Pkw aus. In Deutschland sind es mit 44,4 Millionen Pkw ziemlich genau doppelt so viel. Die zusätzliche Verkehrsbelastung, die es in Spanien mit dem Tourismus-Verkehr gibt, wird in Deutschland leicht mit dem enormen Transitverkehr wettgemacht.

Spanien sieht sich in Sachen Autobahnen auch weltweit in der Spitzengruppe. Auf der Website www.autopista.es wird China im Weltranking auf Platz 1 gesehen (mit 111.950 Autobahn-Kilometern), gefolgt von den USA mit 77.017 Autobahnkilometern. Auf Platz 3 landet bereits Spanien mit den angeführten 15.048 km. Danach kommt Mexiko mit 15.044 km und erst jetzt das Autoland Deutschland mit den bereits erwähnten 12.917 km.

Der große Schub im spanischen Autobahnbau kam in den 1990er Jahren, als die EU-Gelder für den Autobahnbau besonders stark zu sprudeln begannen. 1990 betrug die Länge des spanischen Autobahnnetzes „erst“ 4976 km. Es hat sich in den folgenden 25 Jahren vervierfacht.
Siehe: http://www.autopista.es/noticias-motor/articulo/espana-tercer-pais-mundo-kilometros-autovias-autopistas

Thomas Fruth. Der seinen Urlaubsort immer gerne, je nach Zeit und Finanzlage, auf einer der Parallelbahnen erreicht.

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