Der Sturm zeigt die Schwächen der Bahn

Ein Sturm im Oktober ist eigentlich nichts Ungewöhnliches. Das passiert jeden Herbst und jedes Frühjahr. Sturmwarnungen ermöglichen es heute, sich rechtzeitig darauf einzustellen; Feuerwehren und Rettungskräfte sind in Alarmbereitschaft. Umso verwunderlicher ist es, dass die Bahn von solchen Unwettern immer wieder aufs Neue in ein völliges Chaos gestürzt wird.

Dass es bei einem starken Sturm an einzelnen Stellen im Bahnnetz zu Problemen kommt und nicht alle Züge nach Plan fahren, ist sicherlich zu erwarten. Dass aber fast alle wichtigen Fernverkehrsstrecken zum Erliegen kommen und danach teilweise tagelang nicht befahren werden, macht doch stutzig. Kenner weisen seit Jahren darauf hin, dass das Problem zu einem guten Teil hausgemacht sei. Während die Bahn früher viel Personal für die Pflege der Strecken hatte, wozu insbesondere auch das Zurückschneiden der Bäume entlang der Gleise gehörte, ist vieles davon in den letzten zwei Jahrzenten weggespart worden. Zu hohe, möglicherweise sogar morsche Bäume neben den Gleisen stürzen dann bei einem Sturm auf die Oberleitung; eine stunden- oder sogar tagelange Streckensperrung ist die Folge.

Der zweite wichtige Aspekt der Krisenvorsorge ist die Reaktion auf einen solchen Schaden an der Oberleitung oder am Gleis. Auch hier wurde im Zuge der rein betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der Deutschen Bahn als Aktiengesellschaft (DB AG) gespart: Techniker für die Reparatur einer Oberleitung oder eine Diesellok zum Abschleppen an eine Unglücksstelle zu bringen, ist seitdem ein extrem langwieriger Prozess – wovon viele Fahrgäste, die Donnerstag teilweise viele Stunden lang auf freier Strecke standen, ein Lied singen können. Um die Konsequenzen dieser Sparpolitik zu sehen braucht es im Übrigen nicht einmal einen Sturm: Auch schon im täglichen Betrieb fehlt es an Ersatzzügen, Abschlepploks für defekte Züge und Personal zum Eingreifen oder auch nur zur Information bei „Abweichungen vom Betriebsablauf“; Verspätungen, Zugausfälle und frustrierte Fahrgäste sind die Folge.

Wer es einrichten konnte, ist von letztem Donnerstag bis zum Wochenende lieber zu Hause geblieben als mit der Bahn zu fahren; andere mussten auf Fernbusse oder Autos ausweichen und wesentlich längere Reisezeiten in Kauf nehmen. Und auf manchen Strecken fuhren die Züge ja auch schon wieder – den Internetseiten und Apps zufolge sogar pünktlich. In dem Glauben haben sich viele Fahrgäste auf den Weg zum Bahnhof gemacht und am Bahnsteig gewartet, wo der Zug zunächst ebenfalls ordnungsgemäß angezeigt wurde. Und dann die Überraschung kurz vor Ankunft des Zuges: Der Zug fährt doch nicht. Und zwar nicht aufgrund einer neuen Störung kurz davor, sondern er ist nie losgefahren, oft war die Strecke noch immer nicht befahrbar. Wie ist es möglich, dass im digitalen Zeitalter die Informationssysteme die Realität nicht einmal annähernd widerspiegeln? Dass man die als verspätet angezeigten Züge suchen muss, da diese zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit tatsächlich fahren? Und all das nicht nur kurz nach dem Sturm, sondern auch noch Tage danach?

„Zukunft Bahn“ heißt die Strategie der DB AG, die vor allem die Digitalisierung im Fokus hat, unter dem Motto „Mit zufriedenen Kunden erfolgreich in die Zukunft – Pünktlichkeit und Kundeninformation werden verbessert.“ Da scheint wohl noch eine Menge zu tun zu sein. Ärgerlich ist das vor allem deshalb, weil nur eine zuverlässige und bequeme Bahn die Menschen tatsächlich davon überzeugen kann, auf sie umzusteigen – und stattdessen das Auto stehen zu lassen oder auf das Flugzeug zu verzichten. Wenn aber schon ein normaler Herbststurm für tagelanges Chaos sorgt und dann nicht einmal die Informationen funktionieren, kann man die Masse der Menschen kaum von einem solchen Umstieg überzeugen. Die Bilder von tausenden gestrandeter Fahrgäste in Schlangen vor unterbesetzten Informationsschaltern taugen jedenfalls nicht als Werbung für die Bahn.

Wieder einmal zeigt sich, dass die rein profitorientierte Ausrichtung der Bahn für eine eigentlich überall beschworene Verkehrswende kontraproduktiv ist. Wir brauchen stattdessen eine krisenfeste Bahn, die wieder ohne Ironie sagen kann: „Alle reden vom Wetter – wir nicht!“

 

Bernhard Knieriem ist Mitglied der Redaktion von Lunapark21

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