Bündnis von Labour und Tories zwecks Privatisierung

Die Devolutionspläne der britischen Regierung für Greater Manchester

Christian Bunke in Lunapark21 – Heft 30

Wie man sich als politische Kraft selbst ins Abseits schießt, konnte man im vergangenen Jahr am Beispiel der Labour-Partei in Schottland beobachten. Ihr Bündnis mit den Konservativen gegen die schottischen Unabhängigkeitspläne bezahlte Labour mit Massenaustritten und dem Verlust aller schottischen Parlamentssitze bis auf einen im Londoner Unterhaus. Die große Mehrheit jener, die in Schottland für die Unabhängigkeit stimmten, taten dies mit der Hoffnung auf eine Befreiung von Austeritätspolitik, Privatisierung und Armut. Labour wurde abgestraft, weil sie während des Referendums eine große Koalition mit den Tories eingingen.

Es ist ironisch, dass gerade jene Parteien, die sich in der Schottlandfrage so stark für den Erhalt der Union einsetzten, im englischen Teil des Königreichs Schritte in Gang setzen, die das fragile politische Gleichgewicht der britischen Institutionen weiter ins Wanken bringen könnten. Das hat auch Auswirkungen auf das Gefüge innerhalb dieser Parteien.

Ein solches Projekt ist „Devo Manc“. Dieses Projekt wurde am 27. Februar unter großen Fanfarenklängen im Rathaus Manchester vorgestellt. Extra angereist war der britische konservative Finanzminister, der sich dort mit den Führern der zehn Stadträte des Großraumes Manchester – neun von zehn dieser Führer sind Labour Politiker – an einen Tisch setzte, um dieses neuartige Projekt vorzustellen.

Mit „Devo Manc“ soll der Großraum Greater Manchester die politische Verantwortung mitsamt fiskalischer Kontrolle für die Bereiche Gesundheitswesen, Planung, Transport und Polizei übertragen bekommen. Auf zentralstaatlicher Ebene soll dafür jährlich ein Budget festgelegt werden. Um das Budget zu verwalten, soll mit dem Posten eines Bürgermeisters für den gesamten Großraum eine neue Behörde geschaffen werden.

Damit würde ein jahrelanger politischer Prozess abgeschlossen werden. Schon jetzt arbeiten die zehn Stadtverwaltungen des Großraumes in übergeordneten Strukturen zusammen. Diese sind bereits heute für die Normalbevölkerung wenig überschaubar. Doch über die gewählten Strukturen der zehn Stadtparlamente gibt es immerhin noch rudimentäre Elemente demokratischer Kontrolle. Die Schaffung des Bürgermeisteramtes würde solche Kontrolle erschweren. Deshalb hat die Bevölkerung Manchesters 2012 auch einen Bürgermeister in einer Volksabstimmung abgelehnt.

Daraus hat man gelernt. Für „Devo Manc“ sind keine Stimmungsbilder aus der Bevölkerung erwünscht, eine Abstimmung über Für und Wider dieser Konstruktion ist nicht vorgesehen. 2017 soll der Bürgermeister gewählt werden und fertig.

Doch nicht nur die Bevölkerung wurde und wird außen vor gelassen. Auch die Strukturen der Labour-Partei erfuhren erst Ende Februar von „Devo Manc“. Geschlagene sechs Monate führte der britische Finanzminister George Osborne Geheimverhandlungen mit der Gruppe der zehn. Die dominierende politische Kraft in den zehn Stadtparlamenten ist Labour. Doch die nationale Parteiführung wurde über die Geheimverhandlungen nicht informiert. Lokale Parlamentsabgeordnete und Gewerkschaften auch nicht.

So entstand eine Situation, in der Andy Burnham, vor den Wahlen Schattengesundheitsminister von Labour, inzwischen möglicher Kandidat für den Parteivorsitz, öffentlich einen Vertrag ablehnte, den seine Parteifreunde in Greater Manchester enthusiastisch als „historisches Ereignis“ feierten.

Nur wenige Monate vor den britischen Unterhauswahlen und den Stadtratswahlen in England und Wales am 7. Mai gelang George Osborne damit ein strategischer Coup. Die Tories, sonst verschrien als Partei des Londoner Finanzkapitals, konnten sich plötzlich als Freunde des englischen Nordens, dem Herzen der Arbeiterbewegung, präsentieren. Die Errichtung eines „northern powerhouse“ war plötzlich in aller Munde, dem mit „Devo Manc“ der Weg bereitet werden soll.

Am meisten fortgeschritten sind die Pläne für das Gesundheitswesen. Seit Anfang April werden Strukturen aufgebaut, die zu einer Schaffung eines Gesundheitswesens für Greater Manchester führen sollen. Dafür gibt es von der Zentralregierung 6 Milliarden Pfund. Diese Summe steht aber unter dem Vorbehalt einer „erweiterten fiskalischen Konsolidierungsagenda“.

Soll heißen: Diese Summe kann jederzeit gesenkt werden. Damit behält der Staat die Instrumente zur Durchsetzung von Einsparungen in der Hand. Organisieren darf diese Einsparungen dann der Bürgermeister von Greater Manchester und sein Apparat. Als Gegenleistung erhalten dieser und andere Lokalpolitiker Entscheidungsbefugnisse etwa bei der Vergabe von Verträgen für medizinische Dienstleistungen.

Damit öffnen sich völlig neue Möglichkeiten der Selbstbereicherung und Korruption. So werden vor Ort willige Helfer zur Umsetzung der seit 2012 gesetzlich festgelegten Privatisierungsagenda gefunden. Damals wurde der seit 1948 bestehende Grundsatz abgeschafft, wonach das Gesundheitsministerium für alle Menschen eine durch Steuern finanzierte und bei Nutzung kostenlose Gesundheitsversorgung sicherstellen muss. Die Errichtung eines eigenen Gesundheitssystems für Manchester wäre, so umgesetzt, ein sichtbares Signal für das Ende des „National“ Health Service.

Aktive, die schon lange vor Ort gegen die Zerschlagung des Gesundheitswesens kämpfen, befürchten das Schlimmste. Manchester soll scheinbar zum Pilotprojekt für den jüngsten Fünfjahresplan des englischen Gesundheitssystems ENHS werden. Dieses sieht einen Abbau allgemeiner Krankenhäuser zugunsten mehrheitlich privat betriebener Spezialeinrichtungen vor. Teile des bezahlten Pflegepersonals sollen durch Ehrenamtliche ersetzt werden. Im Zusammenhang mit „Devo Manc“ droht außerdem eine Regionalisierung tarifvertraglicher Lohnstrukturen. Genau das war ein von Gewerkschaften abgelehnter Teil des Regierungsprogramms der letzten fünf Jahre.

Im „Devo-Manc“ Konzept finden sich Strategiebestandteile wieder, die bereits vor Jahren in Regierungskreisen diskutiert wurden. So schrieb David Camerons Wahlkampfhelfer und Lobbyist für den medizinisch-industriellen Komplex Lynton Crosby bereits 2010 in einem Strategiepapier von den „strategischen Möglichkeiten“, die sich durch „unzureichende staatliche Finanzierung“ bieten würden.

Übersetzt auf „Devo-Manc“ bedeutet das: Gerade wenn das für den Großraum Manchester von der Zentralregierung in London bereitgestellte Budget nicht ausreicht, wird der Großraum gezwungen sein, auf private Dienstleister und Formen der privaten Finanzierung zurückzugreifen.

Kein Wunder also, dass alle gewerkschaftlichen Strukturen des englischen Nordwestens „Devo Manc“ ablehnen. Der Gewerkschaftsbund Greater Manchesters GMATUC ruft seine Mitgliedskörperschaften dazu auf, „Devo Manc“ „zu verlangsamen, zu behindern, aufzuhalten und in jeder möglichen Form zu verhindern.“

Inzwischen haben sich die Gemüter in der Labour-Partei wieder beruhigt. Die Parlamentarier des Großraumes hatten ein Treffen mit der Gruppe der zehn. Dort wurden ihnen wohl die kommerziellen Möglichkeiten des Projektes schmackhaft gemacht. Auch Andy Burnham klingt jetzt ganz anders. Der sagte nur wenige Tage vor den Parlamentswahlen: „Wir müssen den Menschen eine neue Sichtweise davon geben, was das NHS zu leisten in der Lage ist. Die Menschen glauben, es ist ein Selbstbedienungsladen. Doch unser Gesundheitssystem kann nur sehr grundsätzliche Dinge leisten.“

Das trifft sich gut, denn ab 2016 wird das als „Health and Social Care Act“ bekannte Privatisierungsgesetz für das Gesundheitswesen entsprechende Fakten schaffen. Gesundheitsversorgungsanbieter müssen dann nur noch einen Bruchteil der Dienstleistungen anbieten, zu denen sie bislang verpflichtet waren. Das ist für ein regionales Gesundheitssystem mit limitiertem Budget, dass außerdem zu keinerlei universeller Gesundheitsversorgung verpflichtet ist, ideal.

Somit ist „Devo-Manc“ in letzter Instanz das Kind einer inoffiziellen Koalition aus Labour und den Tories. Eine solche Koalition führte dazu, dass Labour in Schottland weggefegt wurde. „Devo-Manc“ enthält schon jetzt einiges an Konfliktpotential zwischen Gewerkschaften und Labour – und zwar genau jenen Gewerkschaften, die Labour derzeit am meisten Geld zuschießen. „Devo-Manc“ ist offensichtlicher Beweis dafür, dass weder Parlamentarier noch Lokalpolitiker der Labour-Partei ein Problem mit Kürzungen und Privatisierung haben. Im Gegenteil. Hier liegt ein wesentlicher Grund für die Niederlage von Labour bei den Unterhauswahlen im Mai.

Christian Bunke ist freier Journalist und hat viele Jahre im nordenglischen Manchester gelebt.

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