Run aufs Betongeld

In vielen deutschen Großstädten explodieren die Immobilienpreise
Rainer Balcerowiak. Lunapark21 – Heft 21

Nach einer längeren Phase relativer Stagnation ist der deutsche Wohnimmobilienmarkt in den vergangenen Jahren regelrecht explodiert. In den meisten westdeutschen Großstädten sind die Kaufpreise für Wohnungen und Mietshäuser zwischen 2008 und 2011 um bis zu 35 Prozent gestiegen. Angetrieben wird diese Immobilienhausse nicht nur von den Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten und der Suche vieler Investoren nach sicheren, renditeträchtigen Anlagen. Eine wesentliche Rolle spielt auch die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank, durch die die Finanzierungskosten eines Immobilienerwerbs auf ein historisch niedriges Niveau gedrückt wurden.

Flankiert wird das Ganze durch ein kontinuierlich liberalisiertes Mietrecht, welches den Haus- und Wohnungsbesitzern besonders bei Neuvermietungen große Spielräume bei Mieterhöhungen und bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen einräumt.

Was die Dynamik betrifft, nimmt Berlin dabei eine Spitzenposition ein. Die Zahl der jährlich verkauften Wohnungen stieg von 2009 bis 2011 um knapp 4000 auf 21161. Ähnliche Entwicklungen sind auch bei Mehrfamilienhäusern zu beobachten. Es ist davon auszugehen, dass dieser Trend auch in den kommenden Jahren anhalten wird. Dabei treten zunehmend Investoren aus südeuropäischen Ländern – allen voran Italien –, aber auch Käufer aus Russland und China in Erscheinung. Der Anteil deutscher Käufer beträgt demnach weniger als 70 Prozent. Das geht aus Erhebungen hervor, die der Immobilienverband IVD sowie einige große, auf dem hiesigen Wohnungsmarkt aktive Unternehmen vor einigen Wochen vorstellten.

Berliner „Nachholbedarf“
Derzeit sei Berlin die mit weitem Abstand am stärksten nachgefragte Stadt für internationale Investoren, so Jürgen Michael Schick, der Vizepräsident des Immobilienverbands Deutschland (IVD). Aufgrund des niedrigen Ausgangsniveaus werde auf dem Berliner Markt nach wie vor ein „deutlicher Nachholbedarf“ in Bezug auf Immobilienpreise und Mieten gesehen. Weitere Faktoren seien die zunehmende Wohnungsknappheit in Innenstadtlagen durch die faktische Einstellung der Neubautätigkeit bei gleichzeitig stark wachsendem Bedarf. So ist die Zahl der eigenständigen Haushalte in Berlin seit dem Jahr 2000 um 175000 auf knapp zwei Millionen gestiegen. Allein 2011 summierte sich die Nettozuwanderung in die Hauptstadt auf rund 40000 Menschen. Berlin sei einfach „trendy“, gelte als „offen“ und habe international den Ruf einer „coolen Szene- und Modestadt“, brachte es Marco Mendler, Geschäftsführer des Immobilienunternehmens Alt + Kelber, auf den Punkt.

Angesichts der Euro-Krise und der bereits überhitzten Immobilienmärkte in vielen anderen europäischen Ländern gelten Wohnungskäufe in Berlin als „extrem sicheres Investment mit hohem Wertsteigerungspotenzial“, so Schick. Während die Preise in innerstädtischen Top-Lagen teilweise bereits ausgereizt seien und das Niveau von Städten wie Hamburg, Frankfurt oder München erreicht hätten, stehen aktuell zunehmend sogenannte B-Lagen im innerstädtischen Bereich, wie Nord-Neukölln, Moabit und Teile vom Wedding, im Fokus. Jacopo Mingazzini, Geschäftsführer des auf „die Privatisierung großer Wohnungsportfolios“ spezialisierten Unternehmens Accentro, geriet bei einem Pressegespräch regelrecht ins Schwärmen. Ausländische Investoren seien begeistert und könnten „oft gar nicht glauben, dass es so einfach ist, solche Renditen zu erzielen“. Anders als deutsche Käufer gingen diese „auch viel unbefangener“ an Stadtteile heran, die noch nicht als „angesagt“ gelten: „Die gucken einfach auf den Stadtplan, nehmen ein Lineal und stellen fest, dass die betreffenden Gebiete zum Zentrumsbereich gehören.“

Lokalpolitik hilft mit
Sehr zufrieden zeigen sich die Vertreter der Immobilienwirtschaft auch mit dem „engen Schulterschluss zwischen Investoren und Politik“ bei der Aufwertung bestimmter Stadtquartiere. Durch die Ausweisung von Sanierungsgebieten werde auch mit öffentlichen Mitteln das Wohn- und Geschäftsumfeld verbessert, was – verbunden mit besonderen Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in diesen Gegenden – viele Interessenten anziehe.

Theoretisch haben die Bezirke auch ohne komplizierte Instrumente wie Milieuschutzsatzungen einige Stellschrauben zur Verfügung, um Mietexplosionen im Rahmen der „Aufwertung“ von Stadtteilen zumindest einzudämmen. In Sanierungsgebieten müssen alle Verkäufe von Häusern und Wohnungen der Sanierungsverwaltungsstelle zur Genehmigung vorgelegt werden. Ablehnungen sind möglich, wenn der Preis deutlich über dem zuvor festgestellten Verkehrswert liegt oder Umstände des Verkaufs dem Sanierungsziel widersprechen.

Eine Mitarbeiterin der entsprechenden Dienststelle in Berlin-Mitte räumte auf Anfrage allerdings ein, dass es kaum Möglichkeiten gebe, spekulative Prozesse in Sanierungsgebieten zu beeinflussen. Zwar könne man bei überhöhten Verkaufspreisen intervenieren, habe aber keinen Einfluss auf die Planungen der Hausbesitzer. Auch in Sanierungsgebieten müssten mittlerweile viele aufwändige und preistreibende Modernisierungen, wie beispielsweise der Einbau von Aufzügen, von Mietern geduldet werden. Anders als früher gebe es auch keine Möglichkeiten mehr, Mietobergrenzen für modernisierte Wohnungen in solchen Quartieren anzuordnen. Ferner unterliegt die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Sanierungsgebieten keinen besonderen Restriktionen.

Für immer mehr Mieter bedeutet diese Entwicklung die Vertreibung aus dem angestammten Wohngebiet. Mittlerweile haben nicht nur Hartz-IV-Empfänger, sondern zunehmend auch Normalverdiener kaum noch eine Chance, im innerstädtischen Bereich eine bezahlbare Wohnung zu finden. Wenn dann auch noch die Miete der bisherigen Wohnung durch Modernisierungen in die Höhe getrieben wird, bleibt nur noch der Umzug in unattraktive, cityferne Randlagen. Und längst haben Investoren, Immobilienmakler und Projektentwickler weitere Quartiere im Blick. So könnte die vermutlich 2015 anstehende Schließung des Flughafens Tegel auch bislang arg lärmgeplagte Wohngebiete in den citynahen Teilen Reinickendorfs in den Fokus rücken. Rund um die Provinz- oder Residenzstraße existieren aus Sicht der Wohnungswirtschaft noch sehr viele Objekte mit ungeheurem „Nachholbedarf“, was die Mieten betrifft.

Berlin auf dem Hochplateau
Dennoch weisen Branchenvertreter vehement den Vorwurf zurück, der Berliner Wohnimmobilienmarkt werde von Spekulanten beherrscht. Durchschnittliche Erlös- und Mietpreissteigerungen von zwölf Prozent binnen zwei Jahren lägen angesichts des niedrigen Ausgangsniveaus „absolut im Rahmen“, betonte Schick. Für die meisten Investoren stünde ohnehin nachhaltige Wertentwicklung und nicht der „schnelle Gewinn“ im Vordergrund. Auch für die Herausbildung einer Immobilienblase sieht Schick keine Anzeichen. Zwar stehe „der Immobilienmarkt kurz vor dem Peak“. Nach dessen Erreichen rechne die Branche aber nicht mit einem Preisverfall, sondern „eher mit einem Hochplateau“.

In der Tat gibt es in Berlin noch keine Anzeichen für eine Blase. Laut Berechnungen des Immobiliendienstleisters Cushman & Wakefield stiegen die Kaufpreise für Wohnungen in der Hauptstadt zwischen 2008 und 2012 durchschnittlich um 23 Prozent, die Mieten legten in diesem Zeitraum um 32 Prozent zu. In München stehen Preissteigerungen von 31 Prozent aber nur Mieterhöhungen um 13 Prozent gegenüber, und höhere Margen sind angesichts des extrem hohen Niveaus kaum durchsetzbar. Ähnliches gilt für Hamburg, und Frankfurt am Main. Daher warnen mittlerweile sowohl die Bundesbank als auch Wirtschaftsinstitute wie das DIW vor einer möglichen Überhitzung auf Teilmärkten. Wenn Kaufpreise das bis zu 30fache der Jahreskaltmiete betrügen, seien die Finanzierungen dermaßen „auf Kante genäht“, dass mögliche Zinssteigerungen die Investoren in ernste Schwierigkeiten bringen könnten, ist der Tenor der Mahner. Das derzeit hoch im Kurs stehende „Betongold“ könnte auf diese Weise schnell zum Milliardengrab werden.

Rainer Balcerowiak lebt und arbeitet als Politik- und Weinjournalist in Berlin-Moabit und Wandlitz. Er veröffentlicht regelmäßig im Neuen Deutschland, im MieterEcho, bei Captain Cork und auf seinem Blog http://genuss-ist-notwehr.de

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