Auf dem Weg zur automatisierten Bankenstützung

Aus: LunaPark21 – Heft 18

Wie war das im Oktober 2008? Kanzlerin Merkel und ihr damaliger Finanzminister Steinbrück bestellten eines schönen Sonntags die Fernsehanstalten ein und sprachen ernsten, aber freundlichen Gesichts die folgenschweren Worte: „Liebe Mitbürger, ihre Einlagen sind sicher.“ Wir lieben Mitbürger hatten damals noch gar nicht erkannt, wie unsicher unsere Einlagen bei den Banken eigentlich waren. Die kurzen Sätze der beiden waren folgenschwer. Sie bedeuteten, dass der deutsche Staat die Einlagen garantierte, und um die Einlagen zu sichern, die Banken aufpäppelte.

Das war mit den kurzen Sätzen von Merkel und Steinbrück noch nicht ganz getan. Vielmehr bedurfte es eines umfangreichen Gesetzes und der Schaffung einer kleinen, aber mächtigen Behörde – und vor allem der Bereitstellung von viel Geld. Bundestag und Bundesrat ließen das Bankenrettungsgesetz damals im Rekordtempo passieren. Die Entscheidung über die tatsächliche Verteilung von 480 Milliarden Euro – immerhin das Anderthalbfache eines Bundeshaushalts – wurde dabei an ein kleines, aus Bankern bestehendes Expertengremium abgetreten.

Privatschuld wird öffentliche Schuld

Die damalige Entscheidung ist zum Eckdatum für den weiteren Verlauf der großen Weltwirtschaftskrise geworden. Sie folgte dem Zusammenbruch der New Yorker Investmentbank Lehman Brothers im September 2008, die ihrerseits den Finanzmarkt schwer erschüttert und viele Banken in akute Liquiditätsnöte getrieben hatte. Praktisch alle Regierungen der entwickelten kapitalistischen Welt handelten im Oktober 2008 ganz wie die deutsche. Alle retteten mit viel Staatsknete den jeweils heimischen Bankensektor. Ein Eckdatum ist die damals nicht koordinierte, aber dennoch ganz gleichförmig stattfindende Aktion der Regierungen aus mehreren Gründen:

Erstens wurde die Finanz- und Schuldenkrise zur Staatsschuldenkrise. Durch das viele in den Finanzsektor gestopfte Geld (und wegen der im Gefolge der Wirtschaftskrise sinkenden Steuereinnahmen) erhöhte sich die Staatsschuld überall massiv. In Deutschland beispielsweise stiegen die akkumulierten Staatsschulden, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von um die 60 Prozent auf über 80 Prozent, wo sie auch heute noch sind.

Zweitens hatte die weltweit stattfindende Bankenrettung zur Folge, dass der bis zum Ausbruch der Krise 2007 ins Hypertrophe gewachsene Finanzsektor nicht schrumpfte. Vom Sommer 2007 bis Ende 2008 war der Umfang des Finanzsektors stark zurückgegangen. Banken schrieben Kredite ab, händigten kaum noch Kredite aus, einige wurden geschlossen, Hedge-Fonds und Private-Equity-Fonds reduzierten ihre Spekulationsgeschäfte, verringerten ihre Verschuldung oder gaben ganz auf. Auch die Industrieunternehmen waren bemüht, ihre Schulden zurückzufahren. Die von den Staaten gewährte Überlebensgarantie stoppte jedoch diesen Prozess. Der Finanzsektor blieb überdimensioniert.

Drittens sorgte die damalige Entscheidung dafür, dass die Ungleichheit der verschiedenen Euro-Länder massiv zunahm. Es gilt heute als selbstverständlich, dass damals jede Regierung die jeweils heimischen Banken mit Steuergeld unterstützte. Die US-Regierung stützte die US-Banken, die britische Regierung die britischen Banken, die deutsche die deutschen Banken usw. (Man mag einwenden, dass schließlich die Deutsche Bank sehr viel Geld aus dem US-Rettungsprogramm erhalten hat. Dies war aber eine indirekte Wirkung, weil die Deutsche Bank von der Rettung der Versicherungsgesellschaft AIG durch Washington profitierte.) Dass die Bankenrettungsaktion auch innerhalb der EU getrennt nach nationalen Grenzen erfolgte, ist keineswegs selbstverständlich. Noch weniger selbstverständlich ist es, dass sogar die Staaten der Euro-Währungsunion die Banken im rein nationalen Rahmen betrieben. Tatsächlich versuchte EU-Kommissionspräsident Barroso damals, ein EU-weites Rettungsprogramm auf die Beine zu stellen. Die Bundesregierung war die erste und entscheidende Regierung, die das verhinderte.

In der EU gelten die viel beschworenen Regeln des freien Marktes und des freien Kapitalverkehrs. Unterstützungsleistungen der Staaten für spezielle Unternehmen oder Branchen sind zwar im üblichen staatsmonopolistischen Kapitalismus die Regel. Dennoch sind sie innerhalb der EU eigentlich verboten. Sie verzerren den Markt, sagt das erz- und neoliberale EU-Recht, zu Recht. Die EU-Kommission ist beauftragt, jedwede Subvention eines Staates für ein Unternehmen zu unterbinden oder, nur in Ausnahmefällen und dann nur unter strikten Auflagen, zu genehmigen. In der Praxis wendet sich die Kommission vor allem gegen staatliches Eigentum an den Produktionsmitteln selbst. Im Finanzsektor selber veranstaltete die EU-Kommission einen fünfzehn Jahre dauernden Feldzug gegen die deutschen öffentlichen Sparkassen und die Landesbanken. In diesen Tagen erringt mit der Abwicklung der einst mächtigen WestLB die Kommission einen späten Sieg.

Verstoß gegen EU-Recht

Bei der Entscheidung zur großflächigen Bankenrettung im Herbst 2008 war alles anders. Jetzt wurde Bankenrettung zur Regel, jetzt durfte sie von den Einzelstaaten nach deren Gusto und Präferenzen vorgenommen werden. Die im EU-Rat versammelten Regierungschefs und Finanzminister entschieden gegen die Kommission. Letztere durfte die nationalen Bankenrettungsprogramme addieren, diese Summe als Teil des EU-Konjunkturprogramms den Medien verkaufen und hinterher jenen Banken, die sich besonderer Zuwendung erfreut hatten, einige Auflagen machen. Ein Beispiel: Die Bundesregierung hatte entschieden, der Commerzbank ganz besonders unter die Arme zu greifen. Sie stellte ihr nicht nur Garantien und Kredite, sondern auch Eigenkapital in Form einer stillen Einlage und durch Kauf neuer Aktien zur Verfügung. Die Commerzbank brauchte im Herbst 2008 dringend Geld und frisches Eigenkapital, denn sie war gerade dabei, die noch finanzschwächere, aber größere Dresdner Bank zu kaufen und zu integrieren. Nur mit Hilfe der staatlichen Zuwendung konnte sie diesen Kauf durchziehen. Verkäuferin war die Allianz, die damit vor den enormen Verlusten der Dresdner Bank verschont blieb und damit Hauptnutznießer der gesamten Aktion war. In den offiziellen Begründungen für die Commerzbank-Hilfen tauchte die Allianz nicht auf. Die Auflagen der EU-Kommission richteten sich später allein an die Commerzbank, die dazu verpflichtet wurde, die Tochter Euro-Hypo zu verkaufen, was sie ohnehin vorhatte.

Die Entscheidung der EU für nationale, einzelstaatliche Bankenrettung war nicht nur ein Verstoß gegen Geist und Buchstaben der EU, sondern hatte auch beachtliche Folgen innerhalb der Währungsunion. Sie hatte ja unter anderem den Zweck, gleiche Bedingungen nicht nur an den Gütermärkten für die Kapitalisten herzustellen, sondern auch gleiche Finanzierungsbedingungen. Ein einheitlicher Währungsraum macht das möglich. Denn zum einen ist die Ab- oder Aufwertungsgefahr der genutzten Währung für alle Kapitalisten des Währungsraumes definitionsgemäß gleich. Das Risiko einer Abwertung lässt sich das internationale Anlegerkapital durch höhere Zinsen vorab bezahlen. Bevor es den Euro gab, waren deshalb die Zinsen in Italien, Spanien und Portugal deutlich höher als in Deutschland, weil Lira, Pesete und Escudo als abwertungsverdächtig, die D-Mark aber als aufwertungsverdächtig galt. Diese Zinsdifferenz zwischen den Staaten verschwand mit der Herstellung des Euro.

Zweitens aber ergeben sich gleiche Zinssätze vor allem deshalb, weil die EZB allen Banken des Währungsraums Geld zum gleichen Zinssatz, dem Leitzins von derzeit ein Prozent, zur Verfügung stellt. Da die Banken den gleichen Einstandszins bei der wichtigsten Finanzierungsquelle haben, besteht eine Tendenz zur Angleichung der Zinssätze auch bei den Krediten, den die Banken an Unternehmen, Privatpersonen und den Staat vergeben. Und tatsächlich haben sich auch aus diesem Grund die Zinsen in der Anfangsphase der Währungsunion angeglichen.

Die weltweite Finanzkrise hat, wie vieles andere auch, auch diesen Sachverhalt geändert. Aus dem Überangebot an Geldkapital wurde ein Mangel. Einige Staaten hatten Probleme, zur Begleichung ihrer Schulden neue Kredite am Finanzmarkt zu erhalten. Das traf Staaten außerhalb der Eurozone (zum Beispiel Ungarn) und innerhalb der Eurozone (als erstes und am schlimmsten Griechenland). Sie galten und gelten am Finanzmarkt als schlechte Schuldner, was bedeutet, dass sie erheblich höhere Zinsen bieten müssen, um überhaupt an Geld zu kommen. Das ist dramatisch und für den Zusammenhalt der Eurozone alles andere als förderlich. Worüber weniger oft gesprochen und geschrieben wird, ist allerdings die Tatsache, dass auch die Banken in Ländern wie Griechenland, Ungarn, Portugal, Irland usw. keinen günstigen Kredit mehr erhalten. Entsprechend steigen auch die Zinsen für Kredite, die die Banken den Unternehmen und Privatpersonen gewähren. Die Zinsen steigen in diesen Ländern auf breiter Front.

Die unterschiedliche Kreditwürdigkeit der Banken entlang nationaler Grenzen hat seine Ursache in der national organisierten Bankenstützung im Herbst 2008. Die Kapitalisten der Hochzinsländer haben damit einen gewichtigen Nachteil bei der Finanzierung ihres laufenden Betriebes und ihrer Investitionen. Der Vorteil, den der große Währungsraum eigentlich bieten kann, nämlich eine günstige Finanzierung, ist völlig verschwunden. Er verkehrt sich sogar in einen Nachteil, weil angesichts der Krise die Kapitalflucht in als sicher geltende Länder deren Zinsen und damit Kosten noch weiter drückt. Die Zinsen sind in Deutschland auf ein nie erreichtes niedriges Niveau gesunken. Für die Unternehmen in der Peripherie ist es besonders nachteilig, dass dieser enorme Finanzierungsvorteil Konkurrenten innerhalb des gemeinsamen Binnenmarktes zukommt. Die Fliehkräfte innerhalb der Währungsunion verstärken sich. Die ohnehin Starken werden noch stärker, die ohnehin Schwächeren fallen weiter zurück.

Diese Zustände scheinen unter Notenbankern, Geschäftsbanken und Regierungspolitikern der Eurozone niemanden gestört zu haben. Auch am Prinzip, dass die Banken durchweg gerettet werden sollten, änderte sich nichts. Die Finanzierungsprogramme für Griechenland, Portugal und Irland sahen allerdings – besonders im Fall Irland mit seinem besonders aufgeblähten Bankensektor – erhebliche Beträge zur Stabilisierung der Banken vor. Das reichte aber längst nicht aus, um die Zinsen in den betroffenen Volkswirtschaften auf ein erträgliches Niveau zu drücken. Es reichte nur, um diese Banken nicht kollabieren zu lassen.

Spanische Banken wackeln

Seit allerdings Spaniens Banken im Zuge der Verschlechterung der weltweiten Konjunktur und im Gefolge der mit Brüssel abgesprochenen Austeritätspolitik stärker zu wackeln beginnen, ändert sich diese passive Einstellung. Spanien hat besonders viele und besonders große Banken, vor allem dank des bis zum Ausbruch der Finanzkrise ausufernden Immobilienbooms. Die Verschuldung des spanischen Staates ist geringer als die Deutschlands. Eine umfassende Rettung der spanischen Banken aber überfordert seine Finanzen. Eine umfassende Zwischenfinanzierung des spanischen Staates und der spanischen Banken wie bei den bisherigen Notoperationen in den Fällen Griechenland, Portugal und Irland über die offiziellen Rettungsschirme würde an die Grenzen dieser Fonds stoßen. (Siehe die Seiten 4 und 5).

Deshalb plädieren der internationale Verband der Großbanken IIF, deshalb plädieren EZB-Präsident Mario Draghi und das seit Januar dieses Jahres amtierende deutsche Direktoriumsmitglied in der EZB, Jörg Asmussen, jetzt doch plötzlich für eine Bankenrettungsunion. Wir hätten dann ein quasi automatisches System bei der Rettung der Banken. Ein Gremium von Fachleuten, genannt EU-Bankenaufsicht, könnte dann, ganz ohne Rücksicht auf nationale Parlaments- und Regierungsbefindlichkeiten und ohne auf die Zahlungsfähigkeit einzelner Staaten achten zu müssen, den Banken die eingeforderten Beträge zukommen lassen.

Man könnte hoffen, dass die deutsche Regierung sich als größter potenzieller Geldgeber gegen eine solche Einrichtung sperren wird. Sicher kann man sich nicht sein. Denn weder Schuldenbremse noch Fiskalpakt werden die Regierung davon abhalten, immer größere Geldbeträge in Richtung Bankensektor zu werfen. Solange das Zinsgefälle in Europa so bleibt wie es ist, solange also den anderen Euro-Ländern nicht wirklich geholfen wird und der Wettbewerbsvorteil deutscher Unternehmen erhalten bleibt, könnte diese treffliche Regierung und ihre loyale Opposition solcher automatisierter Bankenstützung im großen Stil zustimmen.

Es ist nichts so schlimm, dass es nicht noch schlimmer kommen könnte.

Lucas Zeise, Mitbegründer der Financial Times Deutschland, veröffentlicht seit der ersten Ausgabe in Lunapark21 Analysen und Kommentare zum real existierenden Kapitalismus. Er schreibt eine regelmäßige Kolumne in der jungen Welt.

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