Alternativ Wirtschaften: gemeinsam – ökologisch – am rechten Rand

 

Seit vielen Jahrzehnten beschäftige ich mich mit alternativer Wirtschaft. Akteurinnen der alternativen Wirtschaft verweisen darauf, dass  wirtschaftlichem Wachstum verbunden mit steigendem Ressourcenverbrauch einer anderen zukunftsfähigen Wirtschafts- und Lebensweise weichen muss. Drängende Probleme wie Klimawandel und Zerstörung der Mit- und Umwelt bestätigen das. Eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Lebensweise muss an Prinzipien der Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz ausgerichtet sein. Dabei darf Nachhaltigkeit nicht nur die Verknüpfung von wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Aspekten umfassen, sondern sie muss auch die politischen und gesellschaftlichen Dimensionen von Arbeit und Leben umfassen.

Konzepte der alternativen Wirtschaft haben eine lange Tradition. Einen Höhepunkt bildeten die Projekte der 1970er Jahre. Im Zusammenhang mit der StudentInnen- Ökologie-  und Frauenbewegung entstand eine „neue Alternativkultur“ mit Wohngemeinschaften, selbstverwalteten Betrieben und kommunitären Lebensgemeinschaften. Die Gemeinschaftsprojekte verfolgten den politischen Anspruch, demokratische, nicht hierarchische, möglichst selbstbestimmte Betriebsorganisationen sowie humane Arbeitsprozesse und eine ökologisch verträgliche, gesellschaftlich nützliche Produktion zu ermöglichen. Sie hatten ein kritisches Verhältnis zu Autoritäten, Propheten und Gurus jeglicher Art. Viele sahen Gemeinschaftskonzepte auch als Alternative zur Kleinfamilie mit der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung.

 

Die Alternativbewegung hat sich seit den 1970er Jahren immer weiter ausdifferenziert. Nicht alle Modelle sind wirklich emanzipatorisch. Spirituelle Projekte haben in der „Alternativscene“ scheinbar genauso Platz, wie libertär-anarchistische, sozialistische, feministische und viele dazwischen liegende; ja sogar konservative oder rechtsgerichtete. Hierzu zählen beispielsweise rechtsextreme Siedlergemeinschaften.

 

Rechtsextreme Siedlergemeinschaften

In ländlichen Räumen wollen Neonazis ihren Traum von homogenen „Volksgemeinschaften“ und „nationalen Dorfgemeinschaften“ durch die Gründung von handwerklichen und landwirtschaftlichen Kooperativen verwirklichen. In ihrer Umgebung treffen sie oft auf viel Zustimmung, weil ökologisch nachhaltige Konzepte in der Gesellschaft zunehmend beliebt werden. Übersehen wird, dass ihr „Naturschutz“ lediglich dazu dient, die deutsche „Volksgemeinschaft“  und ihren „Lebensraum“ zu bewahren. In der vermeintlich biologischen Schale befindet sich oft ein brauner Kern. An vielen Orten werden die völkischen SiedlerIinnen nur als harmlose alternative AussteigerInnen gesehen.

Die brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung berichtete am 2. Februar 2017 auf ihrer Webseite:

„Die Bundesanwaltschaft hat einen Mann verhaften lassen, der in Verdacht steht, eine rechtsterroristische Gruppe gegründet zu haben. Die Spuren des selbsternannten Druiden führen nach Brandenburg und in die rechtsextreme Siedlerbewegung.“ B. wurde schon mehrmals wegen seiner Hass-Tiraden angezeigt. Offenbar wurde er aber lange für einen harmlosen Spinner gehalten und nicht ernst genommen.

Der festgenommene „harmlose Spinner“ verkündete als Leitspruch auf seinem Profil in dem Netzwerk VK.com (das osteuropäische Gegenstück zu Facebook, auf das viele Rechtsextreme ausweichen, da hier ihre Hetze so gut wie nie sanktioniert wird). „Mein Selbsterhaltungstrieb sagt mir, dass ich die Juden und Moslems vernichten muss, bevor diese meine Sippe oder meine Familie vernichten“.

Rechtsextreme Siedler sind kein neues Phänomen, sondern eines, das immer wieder auftaucht, sich aber nur schwer quantifizieren lässt. Schon lange werden gezielt Höfe gekauft, auf denen die Rechtsextremen, meist in Gemeinschaften, die aus mehreren Kleinfamilien bestehen, ihre völkischen Vorstellungen leben wollen – Umwelt-, Heimatschutz, Ausgrenzung von Fremden und Anderen und Schutz der deutschen Familie gehen Hand in Hand. Und das nicht nur in Brandenburg. Die Siedler finden sich in ganz Deutschland. Nach den Forschungen der Amadeu Antonio Stiftung haben sie sich in Bayern, Hessen, der Lüneburger Heide, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Schleswig-Holstein niedergelassen. In Mecklenburg-Vorpommern, das oft als „Modellprojekt“ der Neonazis bezeichnet wird, gibt es eine Siedlergruppe in der Nähe von Güstrow: Auf den ersten Blick wirken die Menschen, die dort zusammengezogen sind, wie einfache Aussteiger, die sich auf dem Lande von der ‚modernen Welt‘ zurückziehen wollen. Doch das Bild trügt: Unter dem Deckmantel einer Ökosiedlung haben sich dort die Artamanen eine völkische Lebenswelt aufgebaut, deren Tradition bis in die 1930er Jahre zurückreicht. Ihr Leben folgt klaren völkischen Mustern. Neben den alltäglichen Aufgaben wie Brot backen aus eigenem Getreide, der Herstellung von Kleidung aus selbst gesponnener Wolle und Reparaturen durch die eigenen Hände, gibt es deutlich rechtsextrem geprägte Aufgaben. Regelmäßige finden Sommerlager statt, um die zentrale Rolle der eigenen „Sippe“ zu festigen und nach außen zu wirken.

Zu den ideologischen Bausteinen der rechtsextremen Siedler gehört das Bild der intakten Familie als „Keimzelle des Volkes“ mit der klassischen Arbeitsteilung: dem Mann als wehrhaftem Familienoberhaupt und der treusorgenden Mutter, die möglichst viele Kinder bekommt und aufzieht. Siedler-Vater F. beschreibt in der „Jungen Freiheit“ die Rolle der Frauen für den Erfolg seines Projekts: „Ohne die Frauen geht es nicht. […] unsere Frauen müssen mitmachen und dabei mehr Verzicht üben als die Männer“, denn während diese durch die täglichen Berufe oft noch Kontakt zur „Außenwelt“ haben, so sind die Frauen „mit Sack und Kindern“ an den Hof gebunden.

Kinder wachsen in “völkischer Parallelwelt” auf

Besonders gefährlich muss der Einfluss der rechten Siedler auf die Erziehung der Kinder angesehen werden. Diese wachsen in einer völkischen Parallelwelt auf. Der eigene blutsverwandte Nachwuchs muss sich einem völkischen Erziehungsstil mit klaren biologisch begründeten Geschlechterrollen unterziehen: „Wer in diesen Kreisen sozialisiert wurde, hat verinnerlicht, dass die Erhaltung der eigenen ‚Art’ oberstes Gebot ist und die Gemeinschaft mehr zählt als der Einzelne“, so der Landesweite Opferverband LOBBI in Mecklenburg-Vorpommern.

Die Weltanschauung vieler Siedler-Gruppen geht auf das rassistisch-antisemitische Denken der völkischen Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts zurück, das im Nationalsozialismus seinen Höhepunkt fand. Sie halten es für ein Naturgesetz, das nur eine „rein“ deutsche Abstammung den Erhalt des „Volkes“ sichern könne und die deutsche „Volksgemeinschaft“ allen anderen Menschengruppen überlegen sei. Durch den Zuzug von Menschen, die keine deutsche Abstammung haben, fürchten sie eine »Überfremdung« der Gemeinschaft, die zum Aussterben des deutschen »Volkes« führen würde. Diese Angst entsteht aus der Idee, jedes »Volk« könne nur überleben, wenn es sich nicht mit anderen vermischen würde. Wer ihm nicht angehört, wird rassistisch abgewertet und als Bedrohung wahrgenommen.[1]

 

Die Frauen bilden unter den völkischen Siedler/innen ein wichtiges Verbindungsglied zu den übrigen Dorf- oder KleinstadtbewohnerInnen. Sie gelten als harmlose, soziale Wesen,

die auf eine unpolitische, friedfertige Art Kontakt im Privaten suchen und ihre Unterstützung und Hilfe anbieten. Durch ihre vielen Kinder sind sie ständig und dauerhaft in den alltäglichen Sozialstrukturen Kindergarten, Schule etc. präsent. Die Möglichkeit dass diese Frauen der rechten Szene angehören könnten, die meistens als gewalttätig und politisch fanatisch eingeschätzt wird, wird selten in Betracht  gezogen. Die Familienfrauen organisieren Handarbeitstreffen, Tanzrunden, laden zu Kindergeburtstagen und Fahrgemeinschaften ein, engagieren sich in Elternvertretungen. Sie werden als Bereicherung wahrgenommen, obwohl sie nicht weniger als ihre Ehemänner, eine völkisch-rassistische Einstellung vertreten. Meist verbreiten sie ihr Gedankengut nicht offensiv, lassen ihre Meinung aber auch deutlich erkennen, wenn sie beispielsweise ihre Kinder nur mit »reinrassig deutschen« Kindern spielen lassen wollen. MigrantIinnen und Flüchtlinge werden in der Weltanschauung der völkischen SiedlerIinnen ebenso aus der Gesellschaft ausgeschlossen wie Menschen mit einem von der heterosexuellen Orientierung abweichenden sexuellen Begehren oder solchen, die in unkonventionellen Lebensweisen zusammenleben.

 

Gisela Notz lebt und arbeitet in Berlin. U.a. schrieb sie das Buch: Theorien alternativen Wirtschaftens. Fenster in eine andere Welt. Stuttgart 2012, 2. Aufl.

[1] www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/voelkische_siedler_web.pdf

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