Sparpolitik tötet!

Winfried Wolf. Lunapark21 – Heft 23

Die Armut in Europa nimmt drastisch zu – insbesondere in Griechenland, Spanien, Portugal, Irland, Zypern und Italien. Wer hier, im Fall von Regionen mit mehr als 125 Millionen Menschen, von „Peripherie“ redet, ist zynisch. Die Armut findet in unterschiedlicher Form ihren Ausdruck.

Da ist die Gemeindeverwaltung des irischen Ortes Monaghan, die im örtlichen Rossmore-Erholungspark Bäume fällen lässt, um die kommunalen Einnahmen durch Holzverkauf aufzubessern.

Da wird aus Italien gemeldet, dass die Armuts-Immigration im Land, die in jüngerer Zeit von einer Million auf vier Millionen anstieg, das Land wegen der tiefen Krisentendenzen verlässt – Chinesen flüchten nach China oder Kanada, Schwarzafrikaner nach Frankreich, Nigerianer nach Großbritannien.
Da beklagt Justin Welby, der Erzbischof von Canterbury und Oberhirte der Kirche von England, die drastischen Einschnitte der konservativ-liberalen Regierung in Downing Street ließen „die bereits große Kinderarmut in unserem Land drastisch ansteigen“.

Da wird bekannt, dass in Deutschland Hunderttausende im Baugewerbe, im Reinigungssektor, in der Gastronomie, in Schlachthöfen und bei der Mayer-Werft in Papenburg für Löhne zwischen 2 und 5 Euro die Stunde schuften. Der Sozialarbeiter Andrea Stasiewicz: „Ja, wir haben eine moderne Arbeitssklaverei in Deutschland.“

All das sind Folgen einer brutalen Politik zum Sparen und zur Deregulierung – Folgen der Anwendung der neoliberalen Medizin. Lohnt sich das „wenigstens“ für die Volkswirtschaften als Ganzes? Nein! Dies schreibt Norbert Häring, der „Ökonomie-Korrespondent“ des Handelsblattes in eben dieser Wirtschafts-Tageszeitung (23.7.2013). Er bilanziert die Sparpolitik in Portugal wie folgt: „Eine Bestandsaufnahme des bisherigen Sanierungsprogramms ist interessant. Zeigen sich erste Erfolge? Winkt einer Fortsetzung des Sparprogramms tatsächlich die Sanierung des Staatshaushalts, so dass es für Portugal wieder aufwärtsgehen kann (…)? Die Antwort ist ernüchternd. Nach drei Jahren ´Sanierung´ steht das Land am Rande des Staatsbankrotts. Bei allen derartigen Programmen hat sich die Wirtschaft (…) viel schlechter entwickelt, als (…) angenommen. Nicht berücksichtigt wurde, dass massive Ausgabenkürzungen (…) der ohnehin angeschlagenen Konjunktur massiv schaden würden. (…) Der Schuldenstand der Regierung, der 2007 noch bei 70 Prozent der Wirtschaftsleistung lag, ist inzwischen auf mehr als 120 Prozent gestiegen. Tendenz steigend.“

Die erschütternden jüngeren Daten einer Armut in Europa, die gerade durch die neoliberale Politik, durch die Politik von IWF, EU, EZB und deutscher Regierung in Berlin – zusammengefasst in der Politik der Troika – verstärkt wird, finden ihre grundsätzliche Bestätigung in einem neuen Buch mit dem Titel „The Bodys Economic“ der beiden Wissenschaftler David Stuckler und Sanjay Basu. Diese vergleichen kapitalistische Krisenperioden, in denen die öffentlichen Ausgaben nicht gekürzt wurden (England nach dem II. Weltkrieg; Schweden und Finnland in der Finanzkrise in den 1980er Jahren und Island seit 2008) mit Ländern in Krisen, in denen ein hartes neoliberales Sparprogramm durchgesetzt wurde. Letzteres wird an den Beispielen USA in der Großen Depression nach 1929, Russland ab den 1990er Jahren und Griechenland seit 2007 dokumentiert. Das grundlegende Ergebnis der beiden Autoren: In der erstgenannten Ländergruppe ohne neoliberale Politik konnten Standards wie Gesundheit undLebenserwartung gehalten werden – und am Ende die Krise dennoch überwunden werden. Völlig anders im Fall der anwendung neoliberaler Politik. Die beiden Autoren: „Rezessionen können verletzen. Aber Sparpolitik tötet.“ Das Buch ist voll mit beeindruckenden, erschreckenden Fakten.

Beispiel Griechenland: Dort gibt es die bekannte tiefe Krise. Allein diese „produziert“ mehr Krankheiten, mehr Armut – und erfordert „eigentlich“ mehr öffentliche Mittel. Doch die Troika beschloss: In Griechenland müssen die Ausgaben für Gesundheit von 9 auf 6 Prozent des BIP gekürzt werden. Ergebnis u.a. : Die Kindersterblichkeit schnellte um 40 Prozent hoch. Und wie antworten IWF, EZB und EU? Es soll weitere Kürzungen geben.

Apropos: Die deutschen Ausgaben im Gesundheitsbereich lagen 2012 bei 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Tendenz weiter steigend. Sie haben bald ein doppelt so hohes Niveau wie dasjenige, das die alte und neue Regierung Merkel für Griechenland erlaubt.

David Sucker / Sanjay Basu, Bodys Economics, Basic Books, 22,99 US-Dollar.

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