Weibliche Altersarmut

Ursachen, Realität und Gegenstrategien
Hannelore Buls. Lunapark21 – Heft 24

Im Durchschnitt verfügen in Deutschland Frauen heute über 41 Prozent der Altersrenten, über die Männer verfügen. Die durchschnittliche Bestandsrente der Frauen in Westdeutschland liegt seit Jahren bei etwa 500 Euro. Sie steigt nur langsam. Zwar arbeiten mehr Frauen in versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, viele von ihnen aber in Teilzeit mit niedrigen Rentenbeiträgen. Die Alterseinkommen der ostdeutschen Zugangsrentnerinnen (die im vergangenen Jahr erstmalig Rente bezogen) nähern sich dem westdeutschen Niveau schnell an – sie sinken im Vergleich zur bisherigen Bestandsrente Ost.

Im Westen spielen die Erwerbsunterbrechungen eine Rolle sowie der Minijob, der bei Ehefrauen in der Regel in die dauerhafte Nicht-Erwerbstätigkeit führt. Im Osten sind die dramatisch sinkenden Neu-Renten auf lange Erwerbslosigkeit zurückzuführen. Dabei wird die Armutssituation von Frauen unterschätzt, denn in der Statistik gilt nach wie vor die Einkommens-Erfassung pro Haushalt, also bei Anrechnung der Partnereinkommen.

Die aktuelle Situation der Rentnerinnen in Ost und West unterscheidet sich, bedingt durch die unterschiedliche Erwerbsbeteiligung, in der Frauen in den alten und neuen Bundesländern ihre Anwartschaften erworben haben, bzw. durch die vorrangigen Familienpflichten, die Frauen in der Vergangenheit vor allem in Westdeutschland als Alternative zur Erwerbsarbeit aufgetragen bekamen.

Unbezahlte Eigenleistung nur bedingt freiwillig
Die Arbeitszeit, die überwiegend Frauen heute im Haushalt ohne Entgelt arbeiten, ist rund eineinhalb Mal so groß wie die mit Erwerbsarbeit verbrachte Zeit der Haushaltsmitglieder. Diese Leistungen werden von Frauen nur vordergründig „freiwillig“ erbracht oder akzeptiert, denn wir haben in Deutschland gesetzliche Rahmenbedingungen, die dafür sorgen, dass Frauen nicht versichert und nicht existenzsichernd erwerbstätig sind und für die unbezahlte Arbeit in Haus und Familie in großem Umfang zur Verfügung stehen. Allgemein bekannt ist die Wirkung der Steuerklasse 5, des Ehegattensplittings oder des Minijobs, die die Arbeit von verheirateten Frauen als nicht lohnend erscheinen lassen.

Mitverantwortlich dafür ist der Subsidiaritätsgrundsatz, wonach Leistung durch die Familie Vorrang vor staatlicher Leistung hat. Wie damit die Zuschreibung unbezahlter Arbeit an die Familie vonstatten geht, wird beispielsweise bei der Pflegeversicherung deutlich, die klar als Teilleistungsversicherung ausgestaltet ist und die Hauptverantwortung für die Pflege von Alten und Kranken sowie von Angehörigen mit Behinderung der Familie zuordnet. Die Pflegeversicherung soll die Familie bei der häuslichen Pflege unterstützen – und nicht umgekehrt. Das soll auch so bleiben, wie die (alte) Bundesregierung in der Debatte um die Neu-Definition des Pflegebedürftigkeits-Begriffes deutlich gemacht hat. An Frauen werden dadurch hohe bis unerfüllbare Anforderungen gestellt, unbezahlt Eigenleistung in Haushalt und Familie zu erbringen.

Die Subsidiarität führt auch dazu, dass diese Arbeiten privat und unter- oder unbezahlt an andere Frauen weitergereicht wird. In der Pflege tritt dies in Form der sogenannten verschränkten Notlagen zu Tage, die Familien dazu bringen, eine Billig-Pflegekraft als unterbezahlte Haushaltshilfe ins Haus zu holen oder illegal zu beschäftigen. Vor allem ausländische Arbeitskräfte – fast ausschließlich Frauen – nehmen dieses Angebot an, weil sie keine Alternative haben. Sie brauchen Geld für ihre eigene Familie zuhause. Pflegerinnen in der sogenannten 24-Stunden-Pflege haben kaum Möglichkeiten, Arbeitszeitschutz und andere Arbeitsschutzrechte in Anspruch zu nehmen. Auf privater Basis wird also Prekarität im Lebenszusammenhang der einen zur Prekarität der Arbeit anderer. Wobei diese Prekarität in 90 Prozent der Fälle eine weibliche ist. Hier ist deutliche Kritik am Ausblenden der geschlechtsspezifischen Realität in der aktuellen Politik angebracht.

Veränderung des Arbeitsmarkts
Die Arbeitsmarkt-Gesetze der letzten zehn Jahre haben dafür gesorgt, dass wir heute einen breit entwickelten Niedriglohn- und Flexibilitäts-Sektor haben, z.B. durch den vermehrten und dauerhaften Einsatz von Minijobs und Leiharbeit. Für Frauen ist wichtig, dass ein weitgehend gleichbleibendes Arbeitsvolumen durch erleichterte Flexibilität neu unter erwerbstätigen Frauen aufgeteilt wurde. Die Löhne und Gehälter sind entsprechend den europäischen und vor allem nationalen Stabilitätsvorgaben nicht entsprechend der Produktivität gestiegen und real sogar gesunken, so dass auch die Rentenbeiträge nicht ansteigen konnten. Für den Frauen-Arbeitsmarkt fehlt grundsätzlich die Gewährleistung eines substantiellen Wiedereinstiegs in die Erwerbstätigkeit, was sich im Verlauf des Erwerbslebens zu enormen Entgeltlücken kumuliert und in niedrige Frauenrenten mündet. Klar ist, dass Frauen, die für ein Jahr oder länger aus dem Beruf aussteigen, auf Dauer Einkommenseinbußen hinnehmen müssen, selbst wenn sie längst wieder auf eine Vollzeit-Stelle zurück gekehrt sind. Beim „Minijob“ kommen Wirkungen durch die Sozialversicherungsfreiheit und das Lohndumping mit sogenannten „Aushilfe“-Löhnen (Durchschnitt acht Euro) hinzu. Ich habe ausgerechnet, dass allein dadurch, dass beim Minijob nicht einmal Löhne in Höhe der untersten Tarifstufen gezahlt werden, die z.B. im Einzelhandel bei 12 Euro liegen, den Sozialkassen eine jährliche Summe von etwa neun Milliarden Euro entgeht.

Der Zuwachs an Anwartschaften durch mehr Erwerbsbeteiligung wird von der rentensenkenden Wirkung der letzten Rentenreformen aufgefressen. Nur vordergründig ging es um die Berücksichtigung des demografischen Wandels. Es wurde politisch neu festgelegt, dass die gesetzliche Rente nur noch 60 Prozent des Lebensstandards sichern solle und die anderen 40 Prozent je zur Hälfte durch betriebliche und private Renten abzusichern sei. Aber gerade das können Frauen nicht erfüllen, denn ihnen fehlt der Zugang zur betrieblichen Alterssicherung und vielen fehlt das Geld, um laufend z.B. eine Riester-Rente zu bezahlen. Nur 21 Prozent der Frauen im Westen und nur rund 17 Prozent der Frauen im Osten haben heute beide Absicherungen, die tatsächlich den ausgefallenden Anteil ausgleichen könnten. Frauen müssen also von der abgesenkten gesetzlichen Rente im Alter leben bzw. in Abhängigkeit vom Ehepartner oder der Grundsicherung.

In die Rentenformel wurden auch Komponenten eingeführt, die die wirtschaftliche Entwicklung direkt berücksichtigen. Es gibt – wie 2012 beschlossen – die Pflicht zur Beitragssatz-Senkung, wenn die Mindestreserve eine bestimmte Höhe erreicht hat. Eine Renten-Steigerung wird damit verhindert, ebenso der Ausbau von Leistungen für Frauen. Es wäre auch möglich gewesen, eine verbesserte Erwerbsminderungsrente, die heute auch für Frauen beim Übergang ins Alter immer wichtiger geworden ist, zu finanzieren.

Niedrige gesetzliche Rente ist nicht gleich Altersarmut
Dem Argument der weiblichen Altersarmut wird stets gern entgegengehalten, dass alte Frauen mit niedrigen Renten deshalb nicht arm seien. Ihr Alterseinkommen liegt im Durchschnitt knapp über 1000 Euro, bei Männern ist es mit ca. 1750 Euro im Westen und 1300 Euro im Osten deutlich höher. Betrachtet man die finanzielle Situation der Frauen, so ist also immer noch entscheidend, in welchem Familienstand sie leben oder gelebt haben. Wenig mehr als 600 Euro Rente und Alterseinkommen haben verheiratete Frauen, es folgen die geschiedenen, die durchschnittlich etwa 1100 Euro haben, wobei beim letztgenannten Betrag die abgeleiteten Ansprüche aus dem Versorgungsausgleich enthalten sind. Und obwohl es ab 1992 bereits Entgeltpunkte für ein bzw. drei Erziehungsjahre und auch die Berücksichtigungszeit von verringertem Einkommen bis zum 10. Lebensjahr des Kindes gibt, nimmt das Alters-Einkommen von Müttern mit der Zahl der Kinder, die sie erzogen haben, ab. Nach der Bestandsstatistik der deutschen Rentenversicherung von 2012 verlieren Mütter im Schnitt mit jedem Kind 50 Euro Rente. Das ist auf die durch die Erziehung von Kindern bedingte verringerte Erwerbsbeteiligung zurückzuführen.

Grundsätzlich ist festzustellen: Die Rente ist der Spiegel des Erwerbslebens. Sie ist kein Reparaturbetrieb für die Defizite des Arbeitslebens. Über das Äquivalenzprinzip, das dieser Spiegel darstellt, bestand bisher ein politischer und gesellschaftlicher Konsens. Daraus muss der Schluss gezogen werden, dass Frauen das Recht auf existenzsichernde Arbeit zugebilligt werden muss, damit sie sich grundsätzlich selbst vorsorgen können.

Das wird zunehmend dringlicher, weil die Rolle des Familienernährers von vielen Männern heute aufgrund ihrer eigenen veränderten Arbeitsmarkt-Bedingungen nicht mehr erfüllt werden kann. Auch werden sehr viele Ehen geschieden und die Unterhalts-Vorgaben verweisen geschiedene Frauen, wenn sie nicht erwerbstätig waren, nach sehr kurzer Zeit in das Hartz-IV-Regime. Altersarmut oder Bedürftigkeit sind damit vorprogrammiert. Selbst Renten, die aufgestockt werden, schützen nicht per se vor Altersarmut, denn sie liegen immer noch innerhalb der Armutsgrenzen und gar nicht so weit über dem Grundsicherungssatz von im Durchschnitt 688 Euro (die exakte Höhe ist von den Kosten der Unterkunft abhängig und schwankt regional).

An dieser Stelle ist die Frage zu stellen, wer Rentenzuschüsse finanzieren soll. Für die Gesamtheit der Renten und der Rentenhöhen macht es einen Unterschied, ob die Finanzierung aus Steuermitteln erfolgt oder ob diese doch nennenswerten Beträge aus Beitragsmitteln kommen sollen, denn damit würde der Rentendurchschnitt weiter sinken. Familienbezogene Leistungen, von denen Frauen mehrheitlich profitieren, sind auch weiterhin aus Steuermitteln zu finanzieren, denn Reproduktionsarbeit in Haus und Familie, heute auch Care-oder Sorge-Arbeit genannt, ist gesellschaftlich notwendige Arbeit. Die dadurch entstehenden Lücken in der Altersvorsorge müssen ausgeglichen werden.

Altersvorsorge und Rentenpolitik sind veränderbar
Für die Zukunft lassen sich die Rahmenbedingungen ändern, wie auch die rentenbestimmenden Faktoren (z.B. der Rentenformel), denn sie sind politisch festgesetzt und an der Entwicklung der Wirtschaft, der Löhne und Gehälter orientiert. Wenn wir wollen, dass die Rente besser abgesichert ist, müssen die Beitragseinnahmen verbessert werden und das geschieht vor allem durch höhere Arbeitseinkommen – individuell und allgemein.

Wenn die bezahlte Erwerbsarbeit für Frauen quantitativ erhöht und die Beschäftigungsbedingungen qualitativ verbessert werden sollen, müssen die Rahmenbedingungen verändert werden. Dazu gehören Änderung der Ehegattenbesteuerung, Entgeltgleichheit, die Sozialversicherungspflicht für Arbeitsverhältnisse ab dem ersten Euro und die eigenständige Krankenversicherung für Erwerbstätige. Hinzu kommen Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik wie Vermittlung und Förderung auch ohne Leistungsbezug, z.B. wenn der Partner ein ausreichendes Einkommen hat. Die Vermittlung in nicht existenzsichernde oder sozialversicherungsfreie Beschäftigung muss beendet werden. Die Einkommen bei vielen frauentypische Beschäftigungen, wie z.B. Altenpflegerin, Friseurin, Verkäuferin reichen nicht für die Altersvorsorge aus. Es geht also auch um die Aufwertung dieser Berufe auf dem Arbeitsmarkt und um einen nicht beschränkten Zugang für Frauen zum ersten Arbeitsmarkt. Ein Auffangnetz, damit Löhne nicht mehr ins Bodenlose sinken und Tarifverträge wieder besser wirken können, ist der gesetzliche Mindestlohn.

Die Sozialökonomin Hannelore Buls ist Vorsitzende des Deutschen Frauenrats und war bis 2012 Leiterin des Bereiches Frauen- und Gleichstellungspolitik beim Vorstand der Gewerkschaft ver.di.

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