„Ostpartnerschaft“ endet am Dnjestr

Das Scheitern von Brüssels neuer Erweiterungsoffensive
Hannes Hofbauer. Lunapark21 – Heft 24

Das lange vorbereitete Wochenende im litauischen Vilnius endete bereits am Freitag. Tags darauf, am 30. November 2013, waren die Staats- oder Regierungschefs von 28 EU-Mitgliedern und sechs ehemaligen Sowjetrepubliken sowie die Spitzen der EU-Administration wieder in ihren jeweiligen Kapitalen gelandet. Das Ergebnis des Ostgipfels ist für Brüssel ernüchternd. Erstmals seit dem Zusammenbruch des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) mussten die EU-Kommissare ein klares Njet auf ein Integrationsangebot zur Kenntnis nehmen. Die Ukraine erkannte, mit tatkräftiger Unterstützung Moskaus, die Gefahren der ökonomischen Peripherisierung und der geopolitischen Sprengkraft des Assoziierungsabkommens, das ihrem Präsidenten in Vilnius zur Unterschrift vorgelegt worden war. Viktor Janukowitsch verweigerte die Paraphierung, während daheim in Kiew Menschen für den Anschluss an EU-Europa demonstrierten.

Der Einfluss Brüssels hat sich mit den Ergebnissen von Vilnius nur zögerlich nach Osten erweitert. Die in Litauen unterzeichneten Assoziierungsabkommen mit Moldawien und Georgien folgen dabei jenem Muster, das Westeuropas ökonomische und politische Führer bereits seit 1989/91 betreiben und das von bürgerlicher Seite als Integration beschrieben wird. Bevor wir uns dem neuen Ausgriff der EU in Richtung post-sowjetischer Republiken und bis an den Dnjestr und in den Kaukasus widmen, wie er in Vilnius hätte vollzogen werden sollen, wollen wir uns die EU-europäischen Erweiterungen der vergangenen 25 Jahre in Erinnerung rufen.

Transformation des europäischen Ostens in den 1990er Jahren
Akkumulationshungriges Kapital im Westen des Kontinents sah im Niedergang der osteuropäischen Ökonomien Ende der 1980er Jahre seine Chance. Plötzlich taten sich Märkte auf, die bisher nur reguliert und kontrolliert zugänglich waren. Zwar kannten vor allem IWF-Mitglieder wie Ungarn, Polen und Rumänien bereits zuvor westliches Investment, das in sogenannten Weltmarktfabriken z.B. Textilien oder Möbel herstellte, aber noch herrschte trotz IWF-Vorgaben das politische Primat über ökonomische Prozesse. Damit war es nach 1989/91 schlagartig vorbei. In den post-sowjetischen Staaten (mit Ausnahme der baltischen Republiken) gelang es einer Allianz aus ehemaligen Betriebsdirektoren und Staatsbeamten, Kapital zu konzentrieren und damit eine Oligarchisierung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse einzuleiten. Ausländische Investoren hatten demgegenüber gewisse Startnachteile. Anders in den osteuropäischen Ländern, wo es vor allem westeuropäischen Unternehmen gelang, den herrschenden Kapitalmangel zu nutzen und in wenigen Jahren sämtliche lukrative Branchen zu übernehmen. Der Eigentümerwechsel war ein totaler. Unterschiedliche Privatisierungsarten wie der Transfer über Treuhandgesellschaften, die volkskapitalistisch verbrämte Coupon-Privatisierung, die Restitution an Erben vormaliger Eigentümer oder die Versteigerung ehemaligen Volkseigentums stellten die Grundlagen der vormaligen Wirtschaftsweise auf den Kopf.

Alle Lebensbereiche mussten auf Marktwirtschaft umgestellt werden. Es galt überhaupt erst, Arbeits- und Wohnungsmärkte zu installieren, eine bis dahin fehlende Mobilität und Flexibilität der Bevölkerung musste in Gang gesetzt werden. Diese durch wirtschaftlichen Zwang zu erzielen, war eine der Hauptaufgaben und größten Sorgen der unheiligen Dreifaltigkeit aus Europäischer Gemeinschaft/Union, IWF und Weltbank. In einem Bericht der letzteren Institution aus dem Jahr 1995 liest sich die Problematik der Transformation am Beispiel der Arbeitswelt folgendermaßen: „Inflexible Löhne können die Umstrukturierung der Beschäftigung unterminieren. (…) Zu hohe Mindestlöhne begrenzen die Verteilung der Löhne nach unten und verhindern eine Lohnbildung auf markträumendem Niveau.“ Die Assoziierungsabkommen mit den postsowjetischen Republiken aus dem Jahr 2013 kommen sprachlich mit weniger Feinschliff aus – immerhin hat sich die Kapitallogik bereits allgemein durchgesetzt –, zielen aber in dieselbe Richtung, wenn sogenannte Arbeitsmarkt- und Pensionsreformen angemahnt werden.

Die Transformation der 1990er Jahre war freilich mehr als ein rein ökonomischer Prozess. Der Austausch bzw. die Umpolung der gesamten politischen Elite bedurfte einer mindestens genauso peniblen Vorbereitung wie die wirtschaftliche Aneignung. „Institution Building“, „Good Governance“ und „Rule of Law“ hießen die dementsprechend ideologieschwangeren Losungen. Sie begegnen uns in exakt derselben Schreibe bei der von Polen und Schweden 2008 vorgeschlagenen und dann 2009 eingerichteten „Ostpartnerschaft“ der EU wieder. Das Ziel war (und ist), willfährige Administratoren für Legislative und Exekutive, Politik und Jurisdiktion heranzuziehen. Die in weiten Teilen der jeweiligen Gesellschaften vorhandene Abscheu vor den Jahrzehnte lang dominierenden kommunistischen Verwaltungen hat die Transformation wesentlich beschleunigt.

Auffällig und bis heute wenig besprochen war dann die vielleicht gravierendste Änderung, nämlich jene der europäischen Landkarte. Keines der drei bestehenden multinationalen Staatsgebilde im Osten des Kontinents hat die Transformation überlebt. Sowjetunion, Tschechoslowakei und Jugoslawien mussten einer besonderen Form der „Nationalisierung“ weichen. Dieser territorialen Zersplitterung lagen zwar innere Widersprüche zugrunde, die allerdings von außen dynamisiert wurden, was nicht nur in Jugoslawien so augenscheinlich wie verheerend gewesen ist.

Als Transmissionsriemen für die – periphere – Integration osteuropäischer Länder in den Wirtschafts- und Wertekanon der Europäischen Union fungierte der „Acqui communautaire“, ein aus 20000 Akten und 80000 Seiten bestehendes Gesetzeswerk, das sämtlichen neuen EU-Mitgliedern aufgestülpt wurde. Die angeblichen Verhandlungen in mehr als 30 Kapiteln bestanden nicht im Finden möglicher Kompromisse zwischen Brüssel und den Aufnahmekandidaten, sondern im Wie und Wann des Umsetzens der EU-Vorgaben in nationale Gesetze. Mit den nun in Vilnius unterzeichneten Assoziationsabkommen zwischen Brüssel, Chisinau und Tiflis wiederholt sich in gewisser Weise dieser Vorgang einer rituellen Unterwerfung.

Die „Ostpartnerschaft“
Brüssels Expansionshunger war auch nach drei Erweiterungsrunden gegen Osten noch nicht gestillt.[1] Mit Hilfe der sogenannten „Ostpartnerschaft“ sollen sechs ehemalige Sowjetrepubliken gezielt an den EU-Binnenmarkt herangeführt werden. Die sechs „Partnerländer“ sind Moldawien, Georgien, die Ukraine, Belarus, Armenien und Aserbeidschan. Das 2009 auf Betreiben Polens und Schwedens gegründete Forum ist direkt der EU-Kommission unterstellt und agiert im Rahmen der „Europäischen Nachbarschaftspolitik“, die sich seit 2004 die Erweiterung des ökonomischen und politischen Einflussbereichs zur Aufgabe gemacht hat. Während Frankreich dabei in erster Linie die südlichen Mittelmeeranrainerstaaten im Auge hat, fokussieren Polen und Skandinavien ihre Erweiterungsbemühungen auf den Osten. Deutschland unterstützt beide Vorhaben, ohne sich bislang in die erste Reihe der Initiative zu stellen. Dies hat, was den Süden betrifft, mit fehlenden historischen Verbindungen zu Nordafrika zu tun, und – im Osten – mit einer gewissen Furcht vor einem Wirtschaftskrieg mit Russland, das in der „Ostpartnerschaft“ einen direkten Angriff auf die eigenen geopolitischen und ökonomischen Interessen sieht. Die Abhängigkeit Deutschlands vom russischen Gas, das über Belarus und die Ostsee ins Land kommt, erklärt auch Angela Merkels vergleichsweise beruhigende Worte auf dem Gipfel von Vilnius.

Mit einem Budget von 600 Mio. Euro bis Ende 2013 bedient die „Ostpartnerschaft“ neben technischen Ausgaben hauptsächlich den ideologischen Überbau des Erweiterungsprojektes. Die diesbezüglichen Schlagworte klingen in Englisch genauso floskelhaft wie in jeder anderen Sprache, setzen sich aber als Anglizismen EU-weit im Sprachgebrauch fest. Da ist die Rede von „shared values“, „good governance“ und „rule of law“. Die handhabbaren Schwerpunkte lassen sich auf vier Top-Anliegen eingrenzen:
• die Einrichtung EU-kompatibler Administrationen, neudeutsch „Institution building“ genannt,
• der Aufbau einer von Russland unabhängigen Gasversorgung unter dem Stichwort „energy security“,
• zwischenstaatliche und interregionale Vernetzung, genannt „regional development“ und
• die Zurückdrängung des Staates aus der Ökonomie bei gleichzeitiger Marktöffnung mit der euphemistischen Bezeichnung „economic integration“.

Mit anderen Worten: es geht um die Durchsetzung der vier wesentlichen kapitalistischen Freiheiten in den internationalen Beziehungen: dem freien Verkehr von Waren, Kapital, Dienstleistungen und – quotiert – Arbeitskraft. Um diese zu gewährleisten und damit Investitionssicherheit für EU-europäisches Kapital zu garantieren, bedarf es der entsprechenden legislativen und exekutiven, administrativen und juristischen Anpassungen an den Kanon der Europäischen Union.

Die „Ostpartnerschaft“ stellt den multilateralen Rahmen für diese Art von Integration dar, die eingedenk der strukturellen Ungleichzeitigkeiten zwischen westeuropäischen Zentralräumen und dem postsowjetischen Osten nur eine periphere sein kann. Lohndifferenzen von 1:10 oder nicht-progressive Besteuerungssysteme sind der „Ostpartnerschaft“ keine Arbeitskreise wert. Darin zeigt sich wie schon im gesamten Transformations- und Erweiterungsprozess seit den 1990er Jahren, dass es ausschließlich um ökonomische Konvergenz geht, bei gleichzeitiger Beibehaltung sozialer Divergenz.

Zuckerbrot und Peitsche: Assoziierungsabkommen
Schon Monate vor dem „Ostpartner“-Gipfel in Vilnius wechselten politische Erpressungen und Angebote einander ab, kleinere wirtschaftliche Scharmützel zwischen Moskau und Brüssel inklusive. Die EU inszenierte die Forderung nach Herausgabe der früheren, orange-farbenen ukrainischen Ministerpräsidentin Julija Timoschenko als Mittelding zwischen juristischer Gerechtigkeit und medizinischer Notwendigkeit. Moskau wiederum verhängte kurzfristig Embargos für moldawischen Wein und ukrainische Schokolade, auch hier musste offiziellerseits die Gesundheit der russischen Bürger als Argument für die Einfuhrverbote herhalten. Litauen wiederum drohte Russland mit der Sperre der Transitrouten nach Kaliningrad, nachdem Moskau litauische Lkw tagelang am Grenzübergang hatte warten lassen.

Hinter der härter werdenden beiderseitigen Gangart steht der Kampf um Einfluss in der geographischen Mitte Europas. Die Unterzeichnung von Assoziierungsabkommen war und ist dabei das wichtigste Etappenziel Brüssels. Während in der „Ostpartnerschaft“ die sechs postsowjetischen Länder multilateral auf ihre Westorientierung vorbereitet werden, besteht der – vorläufige – Schlusspunkt dieser Entwicklung in bilateral formulierten Assoziierungsabkommen. Wie stark der darin verankerte Integrationskurs in Richtung Westen gleichzeitig Desintegration gegenüber Russland betreibt, zeigt ein Blick in ein Vorbereitungspapier die Ukraine betreffend.[2] Wie schon bei den osteuropäischen EU-Neulingen, ist auch hier die militärische Absicherung des vornehmlich ökonomischen Ausgriffs auffällig, wenn ein „gemeinsames verstärktes Operieren zwischen ukrainischen friedenserhaltenden Einheiten und Kräften von EU-Mitgliedsstaaten“ gefordert wird, das darin bestehen soll, „ukrainische Militärkräfte in die multinationalen taktischen EU-Kampftruppen einzubinden“ und „eine Militärkooperation zwischen der EU und der Ukraine voranzutreiben.“[3]

Der Kern des Assoziierungsabkommen steht dann unter der Überschrift „Ökonomische Zusammenarbeit“.[4] Hier wird Klartext geschrieben: „Die Partner kooperieren, um die Ukraine bei der Etablierung einer voll funktionstätigen Marktwirtschaft zu unterstützen“, heißt es bereits im ersten Satz. Die folgenden Vorgaben lesen sich dann wie aus dem Lehrbuch für Wirtschaftsliberalismus und Sparpakete. Kiew wird aufgefordert, „die Erfahrung der EU und der Europäischen Zentralbank zu teilen, um den Geld-, Finanz- und Bankensektor (…) zu entwickeln und zu stärken“, wozu es in erster Linie „Reformen im Pensionssystem und im öffentlichen Sektor“ braucht. Ohne jeden ironischen Unterton wird dann der Ukraine „die beste Expertise der EU und der EU-Mitgliedstaaten in Bezug auf Pensionsreformen“ anempfohlen sowie die „Reduktion staatlicher Einmischung in die Preispolitik entlang der besten Praxis der Europäischen Union.“ In anderen Worten: Energie- und Lebensmittelsubventionen müssen abgeschafft werden, der staatlich regulierte Gaspreis muss einer Liberalisierung weichen. Auch „transparente Privatisierungsgesetze in Abstimmung mit der besten EU-Praxis“ werden eingeklagt. Wie diese „beste EU-Praxis“ bei den Privatisierungen ausgesehen hat, das kann man sich zwischen Rostock und Sofia ansehen. Es wirkt fast unglaubwürdig, dass Brüssel auch Ende 2013 noch mit dieser Vorgangsweise wirbt.

Brüssels vorläufiges Scheitern
Mit den Unterschriften der moldawischen und georgischen Delegationsführer unter die Assoziierungsverträge ist Brüssels neuerlicher Erweiterungsschub auf halbem Wege steckengeblieben. Belarus und Aserbaidschan lagen schon im Vorfeld der Partnerschaftsinitiative weit hinter EU-europäischen Vorgaben zurück. Armenien hat mit seiner Ankündigung, der russisch-weißrussisch-kasachischen Zollunion beitreten zu wollen, Barrosos Kommissare vor den Kopf gestoßen, gilt doch das Brüsseler Integrationsangebot trotz fallweise andersklingender Aussagen als ein exklusives; wirtschaftliche Präferenzabkommen mit Drittstaaten sind Mitgliedsländern der EU untersagt, eine ähnliche Linie wird auch bei den Assoziierungsverträgen angestrebt.

Die verhalten ausgedrückte Freude der EU-Granden über die Unterzeichnung der Abkommen durch Chisinau und Tiflis hat vergessen lassen, dass sich Brüssel damit ausgerechnet jene zwei Staaten an die wirtschaftliche und ökonomische Kandare nehmen will, die territorial nicht gefestigt sind. In Moldawien endet der Einfluss Chisinaus am Fluss Dnjestr, der mitten durch das kleine, vier Millionen Menschen zählende Land fließt. 600000 von ihnen leben östlich des Dnjestr, in dem von keinem Staat der Welt (außer von Abchasien und Südossetien) anerkannten Transnistrien, wo allerdings die industriellen Kernstücke des Landes angesiedelt sind. Georgien wiederum erhebt zwar Anspruch auf die seit 2008 abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien, die sich seit der russischen Militärintervention jedoch als unabhängige Republiken ausgeben. Auch hier ist unklar, bis wohin die neuen Regeln der militärischen und wirtschaftlichen Kooperation mit der EU Gültigkeit haben. Brüssel, so hat es den Anschein, könnte sich mit seinem Vorrücken an den Dnjestr und in den Kaukasus mehr Probleme als Vorteile eingehandelt haben.

Kiew wiederum zog in letzter Minute die Notbremse. Ministerpräsident Mykola Azarow stoppte am 21. November 2013 das bereits vollständig ausverhandelte Abkommen per Dekret mit dem Hinweis, „die nationalen Sicherheitsinteressen wahren und (…) die wirtschaftlichen Beziehungen auf gleicher Augenhöhe mit der EU vorbereiten zu müssen.“ Was für Brüsseler Ohren als Affront klang, ist gleichwohl geopolitischer Einsicht und wirtschaftlicher Vernunft geschuldet.

Die im Assoziierungsabkommen vorgeschriebene Einbindung des ukrainischen Militärs in EU-europäische Kampftruppen wäre zumindest in Sewastopol an ihre Grenzen gestoßen, wo die russische Marine einen wichtigen Flottenstützpunkt unterhält, von dem sie übrigens 2008 in Richtung Georgien ausgelaufen ist. Noch weniger kompatibel wäre eine EU-Assoziation der Ukraine auf wirtschaftlichem Gebiet, denn Kiew hängt in vielerlei Hinsicht am russischen Tropf. Schon der vordergründig zwischen EU-Europa und Russland ausbalanciert scheinende Außenhandel, der in beide Richtungen ein Volumen von etwa 45 Milliarden Dollar umfasst, offenbart bei näherer Betrachtung eine wesentlich höhere Abhängigkeit von Russland. Die Warenstruktur ukrainischer Exporte in die EU beschränkt sich in der Hauptsache auf Rohstoffe wie Kohle und Stahl, während in Richtung Russland Maschinen und Lebensmittel exportiert werden. Ukrainische Industrieprodukte wären jedoch am EU-Markt nicht konkurrenzfähig, weshalb das EU-Versprechen auf Markterweiterung ein einseitiges ist. Profitieren würden nur Westfirmen, die sowohl einen großen Absatzmarkt als auch den ukrainischen Arbeitsmarkt, auf dem der durchschnittliche Monatslohn knapp 300 Euro brutto beträgt, nützen könnten.

Der eigentliche Grund, warum Kiew offensichtlich dem Druck Moskaus nachgegeben hat, ist allerdings im Energiebereich, genauer: beim Gaspreis zu suchen. Während das Zollunionsmitglied Belarus für 1000 Kubikmeter sibirisches Gas 169 Dollar bezahlt, verrechnet der russische Monopolist Gazprom auf Basis von Verträgen, die unter der Regierungszeit von Timoschenko unterzeichnet wurden, der Ukraine aktuell 420 Dollar. Das macht einen geschätzten Unterschied von 10 Milliarden Dollar pro Jahr. Moskau hatte schlicht die besseren ökonomischen Argumente auf seiner Seite. Und es spielte sie mit einer Mischung aus Erpressung und Lockangebot aus. Ob es damit Kiew – wie Jerewan – überzeugt hat, zukünftig der bislang aus drei Staaten bestehenden Zollunion beizutreten, wird sich 2015 auch auf politischer Ebene entscheiden, wenn die nächsten Präsidentenwahlen anstehen.

Janukowitsch hat übrigens in Vilnius der EU seinen konkreten Preis genannt. Er will von Brüssel 160 Milliarden Euro für den Fall, dass er doch noch unterschreiben sollte, und zwar als Kompensation für zu erwartende Ausfälle im Ostgeschäft.

Hannes Hofbauer ist Mitglied der Redaktion von Lunapark 21.

Anmerkungen:

[1] 2004 kamen die drei baltischen Republiken, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Slowenien (sowie Zypern und Malta) zur EU. 2007 folgen Bulgarien und Rumänien; 2013 Kroatien.

[2] EU-Ukraine Association Agenda to prepare and facilitate the implementation oft the Association Agreement. Luxembourg, 24 June 2013

[3] ebd., S. 6

[4] ebd., S. 9

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