quartalslüge. „Die Hochrüstung von Russland und China ist bedrohlich“

Winfried Wolf. Lunapark21 – Heft 26

Im Mai äußerte Anders Fogh Rasmussen: „Russland hat seine Verteidigungsausgaben um dreißig Prozent erhöht, während einige europäische Verbündete ihre Ausgaben um 40 Prozent gekürzt haben. Was in der Ukraine geschehen ist, muss ein Weckruf für Europa sein. Deshalb appelliere ich an die Verbündeten: […] Dreht den Trend um! Investiert Schritt für Schritt mehr Geld in die Verteidigung!“ So nachzulesen in einem ganzseitigen Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Ausgabe vom 4. Mai 2014. Im Juni legte der US-amerikanische Kriegsminister Chuck Hagel nach. China habe, so wurde dieser in der Welt am Sonntag vom 8. Juni 2014 zitiert, im vorausgegangenen Jahr „30 Prozent mehr für militärische Zwecke ausgegeben als von Peking behauptet.“ China destabilisiere „mit seiner Rüstung die gesamte Region“. Und im Magazin der Bundeswehr – Y konnte man gar lesen, „angesichts der Aufrüstung Chinas lassen sich Parallelen zum Beginn des Ersten Weltkriegs [ziehen]: Wie seinerseits Deutschland erfährt China einen dramatischen wirtschaftlichen Aufstieg, fühlt sich von den anderen großen Wirtschaftsmächten an den Rand gedrängt und kompensiert das mit außenpolitischem Muskelspiel und Aufrüstung.“ (Heft 3/2014).

Verkehrte Welt! Wer wettrüstet da tatsächlich? Wer dominiert den Weltmarkt für Rüstungsausgaben? Dass dies China oder China gemeinsam mit Russland seien, ist schlicht eine Quartalslüge.

Wenden wir uns den Fakten zu. Die weltweiten Rüstungsausgaben sanken nach der Wende 1989/90 deutlich. Seit Mitte der 1990er Jahre steigen sie wieder massiv an – im Zeitraum 1993 bis 2013 von 1156 Milliarden US-Dollar auf 1702 Milliarden Dollar. Das entspricht , einem prozentualen Anstieg von 47,2 Prozent oder einem Wachstum um fast die Hälfte. Wobei hier bei allen Angaben, in der Tabelle und in der Grafik, die Inflation bereits berücksichtigt und „heraus gerechnet“ ist (die nominellen Zahlen wurden „deflationiert“ und alles in „konstanten Preisen“ gerechnet). Diese allgemeine Aufrüstung allerdings erinnert an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Geht man dann ins Detail, untersucht man die Aufteilung der weltweiten Rüstungsausgaben, dann kann man die folgenden fünf Charakteristika erkennen:
• Die russischen Rüstungsausgaben sanken nach der Wende erheblich. Sie stiegen in den letzten zehn Jahren wieder an. Doch sie liegen 2013 erst auf dem Niveau von 1993 und entsprechen nur 5 Prozent der weltweiten Ausgaben.
• Die chinesischen Rüstungsausgaben stiegen deutlich an. Sie erreichten 2013 10 Prozent der weltweiten Ausgaben für Militärisches. Doch der Ausgangspunkt war ausgesprochen niedrig und das aktuelle Niveau liegt weit unter dem, was der Größe der Bevölkerung oder der Ausdehnung des chinesischen Staatsgebiets entsprechen würde.
• China und Russland zusammen bringen es gerade mal auf 15 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben.

Allein die USA geben zweieinhalb Mal so viel für Rüstung aus wie Russland und China zusammengenommen. Auf sie entfallen derzeit 36,3 Prozent der Weltrüstungsausgaben.
• Nimmt man nur die Rüstungsausgaben von USA, der EU-Mitgliedstaaten und Japans, was einem engen Verständnis des „Westens“, von USA und deren Verbündeten, entspricht, so kommt man addiert auf knapp 1 Billion US-Dollar an Rüstungsausgaben (955 Mrd Dollar). Das wiederum entspricht 56,1 Prozent aller Rüstungsausgaben in der Welt. Was fast das Vierfache dessen ist, was China und Russland zusammen für Rüstung ausgeben.

Es gibt dann immer wieder erstaunlich-gelenkige Vergleiche, mit denen trotz dieser an sich eindeutigen Grundverhältnisse doch eine Bedrohung für den Westen dargestellt werden soll. Zwei Beispiele:

In der Tageszeitung Welt war am 4. Februar 2014 zu lesen: „Werden Chinas und Russlands Ausgaben addiert, ziehen die beiden Länder 2015 an der gesamten EU vorbei.“ Welch ein absurder Vergleich! Chinas Rüstung hat so gut wie nichts mit der EU, aber viel mit den USA, mit Japan und mit Südkorea usw. zu tun. Die US-Rüstung wiederum bezieht sich primär auf diese beiden Länder China und Russland; die Vereinigten Staaten von Amerika bei einem Vergleich der Rüstungsausgaben von China und Russland auszuklammern, ist absolut unseriös. Oder, in derselben Ausgabe der Welt eine andere verbale Akrobatik: „Die Nicht-Nato-Staaten werden (…) die Nato spätestens 2021 im Bezug auf die Verteidigungsausgaben überholen“. Einmal abgesehen von dem ziemlich in der Ferne liegenden Datum „2021“, bis zu welchem sich kaum glaubwürdige Aussagen zu den Rüstungsausgaben machen lassen, ist der Begriff „Nicht-Nato-Staaten“ völlig unpräzse und schwammig. Richtig ist, dass die Gruppe der Nicht-NATO-Staaten groß und deren Rüstungsausgaben tendenziell am Wachsen sind.

Um diese Gruppe etwas auszuleuchten die folgenden ergänzenden Angaben: Zu den Nicht-NATO-Staaten, die zugleich aber eindeutig zum westlichen Rüstungspotential zu rechnen sind, zählen die folgenden Länder (in Klammern jeweils die Höhe der Rüstungsausgaben dieser Staaten im vergangenen Jahr): Saudi Arabien (67 Mrd. US-Dollar), Japan (59 Mrd.), Australien (24 Mrd.), Südkorea (34 Mrd.), Taiwan (11 Mrd.), Oman (9 Mrd.), Indonesien (7,8 Mrd.), Philippinen (3,5 Mrd.), Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate (ca. 10 Mrd.). Allein die hier aufgeführten Staaten bringen es auf eine Rüstungssumme von 220 Milliarden US-Dollar. Dabei wurden hier westlich orientierte Länder wie Indien und Pakistan (mit zusammen fast 60 Mrd. US-Dollar Rüstungsausgaben) nicht mit aufgeführt, da sich deren Aufrüstung weitgehend gegeneinander richtet und sich gewissermaßen „tödlich neutralisieren“ könnte. Die übrigen aufgeführten Länder haben jedoch Rüstungspotentiale, die sich alle tendenziell auch gegen China und Russland richten. Klammert man dabei Japan aus, da dieses Land in unserer Tabelle (als „Summe 1“) und in der Säulen-Grafik bereits berücksichtigt ist, so gibt es allein in diesem Staaten-Block zusätzliche Rüstungsausgaben in Höhe von 150 Milliarden US-Dollar, die als „westliche Rüstungsausgaben“ zu berücksichtigen wären (In der Tabelle und in der Säulengrafik sind diese 150 Mrd. Teil von „Rest der Welt“). Damit lägen diese westlichen Rüstungsausgaben 2013 bei gut 1100 Milliarden US-Dollar (955 + 150), womit bereits zwei Drittel aller weltweiten Rüstungsausgaben auf den Westen, also auf die Hegemonialmacht USA und die mit dieser verbündeten Staaten entfallen. Krasser könnten die Rüstungsausgaben weltweit kaum verteilt sein.

Und wie wird es weiter gehen? Stimmen die in den letzten Wochen viel zitierten Aussagen, wonach die Rüstungsausgaben weltweit rückläufig sind? (Tatsächlich gab es 2012 und 2013 einen leichten Rückgang). Das Militärfachblatt IHS Jane’s Annual Defence Budgets Review (1/2014) ließ die 77 wichtigsten Militäretats der Welt auswerten. Das Ergebnis: Die IHS-Fachleute „rechnen damit, dass die Rüstungsausgaben im Jahr 2014 erstmals seit 2009 wieder steigen werden. Vier der fünf Märkte mit dem stärksten Wachstum bei den Ausgaben liegen dabei im Mittleren Osten; Saudi-Arabien z. B. hat seine Militärausgaben in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht.“

Wir erlauben uns hinzuzufügen: Saudi-Arabien und der gesamte hochexplosive Nahe und Mittlere Osten werden – außer von den USA – vor allem von Deutschland und Großbritannien hochgerüstet.

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