Frauen und Krise

Plädoyer für eine europaweite Mobilisierung mit feministischem Geist
Therese Wüthrich. Lunapark21 – Heft 26

Immer wieder wird deutlich: Die Krise und die Sparpolitik treffen Frauen noch deutlich mehr als Männer. Das lässt sich auch an einem der reichsten Länder Europas, der Schweiz, dokumentieren.

Im Bericht des unabhängigen UNO-Experten Cephas Lumina waren jüngst die folgenden Zeilen zu lesen: „Die Frauen sind unverhältnismässig stärker von der Schuldenkrise und deren Folgen betroffen; Schulden und die ökonomische Reformpolitik sind in vielen Fällen die Ursachen für die zunehmende Armut und Marginalisierung der Frauen. Grundlegende soziale Leistungen sind in der Regel für sie immer noch nicht in genügendem Umfang zugänglich. Die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern wird weiter verstärkt. Die Folge ist eine zunehmende Feminisierung der Armut. Der vorliegende Bericht bringt auch zu Tage, dass die Mehrheit unter den Armen auf diesem Planeten Frauen sind, nämlich sechs von zehn der Betroffenen. Der bis dahin tradierte Ausschluss der Frauen von jeglichen Entscheidungsprozessen sowie die Auswirkungen und Folgen der aktuellen rückwärtsgewandten politischen Prozesse in der allgegenwärtigen Krisensituation intensiviert die Verletzlichkeit der Frauen unweigerlich.“

Es sind die Erfahrungen von engagierten und wachsamen Frauen aus der Linken, den Gewerkschaften und aus Frauenorganisationen: Die wiederkehrenden Wirtschaftskrisen wurden und werden immer wieder dazu benutzt, um Arbeitsplätze abzubauen, Arbeitsbedingungen zu deregulieren, zu verschlechtern und prekäre Arbeitssituationen zu schaffen. Von diesen Verschlechterungen waren und sind immer wieder und im besonderen Maße Frauen betroffen.

Heute müssen wir feststellen, dass in den letzten Jahrzehnten in den westeuropäischen Ländern und in den USA die strukturellen Probleme zugenommen haben: Einnahmen und Ausgaben driften zunehmend auseinander. Parallel dazu nehmen Kapitalgewinne zu, die Investitionen jedoch sind rückläufig. Die Folgen sind überall die gleichen: Arbeitsplatzabbau, Budgetkürzungen der öffentlichen Hand, Sparmassnahmen, zunehmende Prekarität und Armut. Darüber hinaus wird das sogenannte europäische Sozialmodell, – Arbeitsrechte, Renten und Sozialversicherungen – angegriffen. Ende 2012 hat das Europaparlament in seinem Bericht über die Auswirkungen der ökonomischen Krise auf die Geschlechtergerechtigkeit festgehalten, dass sich die Arbeitsbedingungen für Frauen wesentlich verschlechtert haben. Viele Frauen sind gezwungen, sich mit prekären und befristeten Arbeitsplätzen zufrieden zu geben mit zunehmenden Lohneinbußen.

Das europäische Parlament kommt zum Schluss, dass Kürzungen der öffentlichen Budgets die geschlechterspezifische Ungleichheit wieder verstärken. Für viele Frauen ist der öffentliche Sektor ein bedeutender Arbeitgeber (Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen). In diesem Bereich ist der Frauenanteil an der Erwerbslosenquote sehr viel höher. Dazu kommt, dass sie als Nutzerinnen der Erwerbslosenversicherung und der Sozialhilfe im Zuge von Budgetkürzungen und Sparmassnahmen zusätzlich betroffen sind.

Beispiel Kanton Bern
Im Herbst 2013 hat die Legislative des Kanton Bern ein Sparpaket verabschiedet. Auch da zeigt sich, dass Frauen durch die genehmigten Sparmassnahmen doppelt betroffen sind: Einerseits als Arbeitnehmerinnen und andererseits als Nutzerinnen von Sozialleistungen. So wird ab dem laufenden Jahr 2014 der Gesundheits- und Sozialbereich mit 56 Prozent der Sparmassnahmen belastet. Das heisst, in diesem Bereich müssen jährlich 100 Millionen Franken eingespart werden. Die Konsequenz ist Stellenabbau in einem Bereich, in dem vorwiegend Frauen erwerbstätig sind. Bekanntlich ist der Gesundheits- und Sozialbereich ein personalintensives Arbeitsfeld. Beispielsweise umfassen im Budget des häuslichen Pflegedienstes Spitex die Personalkosten 90 Prozent des gesamten Budgets. Spitex muss 20 Millionen Franken einsparen, was einen Abbau von 700 Stellen bedeutet. In den Alters- und Pflegeheimen sind es 23 Millionen Franken. In den Behindertenheimen sind schätzungsweise 350 Stellen gefährdet und in den Spitälern sollen 28 Millionen Franken eingespart werden.

Werden im Gesundheits- und Sozialbereich Arbeitsplätze abgebaut, verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen. Oft führt dies dazu, dass Pflege und Betreuung in die Privathaushalte verschoben werden. Die Folge: Frauen verlieren ihre Arbeitsplätze oder verdienen weniger und es sind auch Frauen, die unbezahlt die notwendige Pflege- und Betreuungsarbeit zu Hause weiter übernehmen. Ein anderes Problem entsteht dadurch, dass vor allem Frauen als Pflege- und Betreuungshilfen aus Osteuropa, Lateinamerika, Ostasien zu miserablen Arbeitsbedingungen in den Privathaushalten beschäftigt werden.

In den Randregionen sind die in der Landwirtschaft Tätigen auf einen Nebenerwerb angewiesen, wenn sie über die Runden kommen wollen. Darum arbeiten viele Bäuerinnen, trotz hoher Arbeitsbelastung für die Spitex. Darüber hinaus pflegen sie oft kranke Angehörige bei sich zu Hause. Das Gesundheitswesen in der Schweiz funktioniert nur dadurch, dass Frauen viele Aufgaben für den Gesundheits- und Sozialbereich schlecht oder unbezahlt übernehmen.

Im Sparpaket sind auch Kürzungen bei der Ergänzungsleistung (EL = gesetzliche Zusatzrente bei ungenügender Alters- und Invalidenrente) für die Jahre 2014 bis 2017 enthalten; für 2014 mit einem Betrag von 16 Millionen Franken. Das heisst, jährlich sollen die Beiträge der Heimtarife sowie die Beiträge für persönliche Auslagen gekürzt werden. Gemäss Bundesamt für Sozialversicherungen nimmt die Zahl der EL-Beziehenden tendenziell zu; 2011 bezogen im Kanton Bern insgesamt über 40000 Personen eine EL, davon über 26000 Rentnerinnen. Die grosse Mehrheit derjenigen, die Altersrente mit EL beziehen, sind Frauen, nämlich rund 70 Prozent. Das entspricht auch dem schweizerischen Durchschnitt. Oft ist es so, dass die Frauen im Alter ihre Ehepartner zu Hause pflegen. Werden aber Frauen betreuungs- und pflegebedürftig, haben sie häufig niemanden, der sie betreut und pflegt. Sie sind angewiesen, in ein Pflegeheim einzutreten mit den oben genannten Folgen. Einsparungen bei der EL sind ein schlechtes Signal. Die EL wurde geschaffen, damit niedrige Alters- und Invaliden-Renten verbessert werden können. Bei all dem muss bedacht werden: Wir leben immer noch in einem reichen Land!

Nach anderen Lösungen suchen!
Im Vorfeld der Beschlüsse über die Sparmassnahmen im Kanton Bern im Herbst 2013 haben verschiedene Frauenorganisationen und Berufsverbände, Gewerkschaften und Parteien aus dem roten und grünen Spektrum zu einem Runden Tisch eingeladen, um mit der Finanzdirektorin des Kanton Bern über die Auswirkungen der Sparmassnahmen auf die Situation der Frauen zu diskutieren. Obwohl sie die Beschlüsse der Legislative nicht mehr beeinflussen konnte, räumte sie ein, dass sich der Kanton Bern die Steuersenkungen von 2011 nicht hätte leisten dürfen – es brauche Diskussionen, wohin es mit dem Kanton in Zukunft gehen soll. Die anwesenden Organisationsvertreterinnen forderten die Finanzdirektorin auf, ihre Bedenken und die Situation der Frauen in eine zukunftsgerichtete Finanzpolitik aufzunehmen: Keinen Abbau bei wichtigen Leistungen im Behinderten-, Gesundheits- und Sozialbereich, kein Sparen auf Kosten der sozial Schwachen. Denn der Kanton hat kein Ausgaben-, sondern ein Einnahmeproblem. Es müssen neue Einnahmequellen gefunden werden, Steuererhöhung darf nicht weiter ein Tabu bleiben. Bis dahin wurde immer nur über Sparmassnahmen diskutiert, was die Suche nach kreativen Lösungen erstickt. Dabei darf auch die Regionalpolitik nicht vergessen gehen. Bisher war immer nur von sogenannten Männerarbeitsplätzen die Rede. Es wird kaum an junge Frauen gedacht. Gleichstellungsfragen müssen unbedingt für die Randregionen gestellt werden. Es muss das Ziel sein, nicht auf dem Rücken der Frauen zu sparen, sondern für sie und für die Gesellschaft zu investieren!

Auch Esther Jeffers, eine Ökonomin von der Université Paris 8, Mitglied des ATTAC-Wissenschaftsrates in Frankreich, machte in ihrem Referat beim Frauenkongress des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes im November 2013 deutlich, dass Budgetkürzungen und Sparpolitik nicht unausweichlich sind. Es gebe andere Lösungen: Auf politischer Ebene zum Beispiel müsse in den öffentlichen Sektor im Interesse des Gemeinwohls investiert werden, das Bankgeheimnis müsse unbedingt aufgehoben werden, Arbeitszeiten seien zu reduzieren und die Rentensysteme zu verteidigen.

Dazu braucht es öffentliche Foren, auf denen solche Fragen diskutiert werden. Insbesondere ist eine europaweite Mobilisierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen erforderlich, die sich vom feministischen Geist leiten lassen.

Therese Wüthrich lebt in der Schweiz. Sie ist Gewerkschafterin, ehemalige Zentralsekretärin der Gewerkschaft Medien und Kommunikation (syndicom) und Mitarbeiterin verschiedener frauen- und sozialpolitischer Projekte.

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