Externe Schocks, Kriege und „inner-ökonomische” Dynamik. lexikon

Georg Fülberth. Lunapark21 – Heft 27

Als externe Schocks gelten unerwartete außerökonomische Einwirkungen auf Marktprozesse. Naturkatastrophen, Anschläge, Kriege, Sanktionen, politische Regimewechsel setzen bisherige Kalkulationen außer Kraft und entwerten Investitionen. Es sind Ausnahmen, die eine vorgebliche Normalität stören: die Selbstregulierung der Märkte. Deshalb werden externe Schocks häufig negativ bewertet. Soweit sie humanitäre Katastrophen sind, wird niemand widersprechen können. Ökonomisch kann das anders aussehen.

Einige Beispiele, die häufig für das Störungspotential externer Schocks angeführt werden, überzeugen wenig. Die Erhöhung der Erdölpreise durch die OPEC 1973 hat die folgende Weltwirtschaftskrise nicht verursacht, allenfalls deren Ausbruch beschleunigt und sie vertieft. Überakkumulation, Dritte Industrielle Revolution und wirtschaftspolitischer Kurswechsel (vom Keynesianismus zum Marktradikalismus) waren wichtiger.

Schon eineinhalb Jahre vor dem Anschlag des 11. September 2001 war die Dotcom-Blase geplatzt. Der Reaktor-Unfall von Fukushima 2011 ereignete sich erst zwei Jahrzehnte nach dem Beginn der japanischen Dauerflaute.

Als die russische Regierung im August 2014 Einfuhrverbote aus Ländern, die sie zuvor mit Sanktionen belegt hatten, verkündete, gaben tatsächlich die Börsenkurse nach. Falls danach irgendwann ein wirtschaftlicher Abschwung einsetzen sollte, hätte dieser seine Ursache mit größter Wahrscheinlichkeit nicht in diesen Haupt- und Staatsaktionen, sondern er wäre inner-ökonomisch veranlasst. Geschieht aber überhaupt nichts, könnte unsere Aufmerksamkeit auf einen anderen Tatbestand gelenkt werden: auf die vielen kriegerischen und politischen Großereignisse, die am Konjunkturverlauf spurlos vorübergehen. Nicht alles, was potentiell auf die Wirtschaft einwirken könnte, verursacht gleich einen Schock. Ein Beispiel können die großen Börsencrashs sein, die manchmal eine Krise der so genannten Realwirtschaft auslösen, oft aber überhaupt nicht – zum Beispiel der folgenlose Schwarze Montag vom 19. Oktober 1987 im Unterschied zum Schwarzen Donnerstag am 24. Oktober 1929, der seinerseits nicht Grund, sondern Vorspiel der nachfolgenden Großen Depression gewesen ist.

Vielleicht gibt es sogar Schocks, die ökonomisch nicht zerstörerisch, sondern stimulierend wirken? Der französische Ökonom Thomas Piketty hat aufgrund umfangreichen statistischen Materials gezeigt, welche Resultate wohin im neunzehnten Jahrhundert auf den bis 1913 weitgehend ungestörten Märkte führten: Die Gewinne stiegen schneller als das Volkseinkommen, es entstand Überakkumulation von Kapital, dessen Investitionsmöglichkeiten geringer zu werden drohten. Ungleichheit nahm zu und bedrohte den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Dann kann der externe Schock von 1914. Zwei Weltkriege, eine Weltwirtschaftskrise, Inflationen schädigten zwar nicht die Sach-, vernichteten aber viele Geldvermögen. Das bisherige Verhältnis zwischen Kapital- und Einkommensentwicklung änderte sich, das „Zeitalter der Katastrophen“ (Eric Hobsbawm) 1914-1945 war eine Periode größerer Gleichheit. Diese setzte sich 1945-1975 fort: staatliche Umverteilungspolitik und eine verbesserte Position der Arbeit gegenüber dem Kapital resultierten aus dem Reparaturbedarf der vergangenen Jahrzehnte.

Seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts kippte diese Entwicklung wieder. Erneut sei das Wachstum der Renditen stärker als das der Gesamtwirtschaft, der Anteil der Renditen an den Einkommen nehme wieder zu, es herrsche Überakkumulation. In allen diesen Punkten sei der Zustand von 1913 nahezu wieder erreicht, damit auch das Gefahrenpotential von damals.

Wie ist Abhilfe zu schaffen? Es gibt Vorschläge, die alle auf das Konzept „Umfairteilen“ hinauslaufen: Einkommen-, Erbschafts- und Vermögenssteuern mit steiler Progression, Investition ihrer Erträge in die Infrastruktur – vor allem für die Bildung – und in soziale Dienstleistungen. Solche Reform-Ideen konnten sich bislang nicht durchsetzen. Parteien, die sie unterbreiteten, gaben sie, waren sie einmal an der Regierung, wieder auf. Zu stark scheinen die gesellschaftlichen Gegenkräfte, die sich auf einen angeblichen Sachzwang berufen: politische Eingriffe in die Wirtschaft seien eine Art auf Dauer gestellter externer Schock, der die Selbstregulierung der Märkte verhinderte.

So war es wohl eine Art humoristischer Mut der Verzweiflung, mit dem 2011 der Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman in einer Fernsehsendung vorschlug, alle Ressourcen sollten zur Abwehr einer drohenden Invasion von Aliens mobilisiert werden. Angesichts einer solchen Gefahr würden Vorwände gegen expansive Steuer- und Ausgabenpolitik hinfällig – Staatsverschuldung, Inflationsgefahr, Schwächung privater Investitionen. Setze ein außerirdischer Notstand solche Bedenken außer Kraft, sei er auch dann nützlich, wenn der Alien-Alarm sich hinterher als Bluff herausstelle.

Es handelt sich um die Wiederholung eines Gedankenspiels, das John Maynard Keynes 1936 vortrug: Wenn eine Regierung Flaschen mit Geldnoten fülle, diese in einer Kehrichtgrube versenke und durch Arbeitslose, die ihren Inhalt behalten dürften, ausgraben lasse, werde die Wirtschaft belebt.

Solche zivilen Umverteilungspläne geraten in der Regel in innenpolitische Auseinandersetzungen, die sie stoppen. Vielleicht sind Krieg-Spielereien in der veröffentlichten Meinung deshalb heute wieder populärer. Tatsächlich hat erst die Hochrüstung in Deutschland und in den USA die Flaute überwunden. Die beiden großen Kriege des 20. Jahrhunderts kamen nicht von außen auf die Wirtschaft zu, sie entstanden aus der inneren Entwicklung des Kapitalismus.

So gesehen, gibt es wahrscheinlich keine externen Schocks, sondern nur interne.

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