Warten auf Podemos? seziertisch nr. 166

Georg Fülberth. Lunapark21 – Heft 29

Syriza hat die Wahl mit dem Versprechen gewonnen, die Auflagen der Troika nicht länger zu akzeptieren. Dies konnte sie nicht halten, denn dann hätte Griechenland eine dringend erforderliche Übergangsfinanzierung für die nächsten Monate nicht erhalten.

Süffisant berichtet die FAZ von einer Kritik des Vorsitzenden der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung PASOK: Den Regierungen, die von seiner Partei oder von der konservativen Nea Demokratia gestellt wurden, habe die Troika Bedingungen diktiert, und sie seien dafür kritisiert worden, dass sie sich diesen gebeugt hätten. Die Koalition aus Syriza und den „Unabhängigen Griechen“ habe ihr Unterwerfungspapier selbst verfasst und dabei sich von der Troika (EZB, IWF, Eurogroup), nachdem diese in „Institutionen“ umbenannt worden war, deren Wünsche soufflieren lassen. Die Griechische Kommunistische Partei wolle einen Antrag ins Parlament einbringen, wonach alle Gesetze, die seit 2010 unter Troika-Diktat beschlossen wurden, aufgehoben sein sollen. Das Abstimmungsverhalten von Syriza werde nicht nur Kommunisten eine Freude bereiten.

Das Blatt spekulierte am 27. Februar darüber, dass Alexis Tsipras vielleicht eines Tages Zuflucht zu einem Referendum darüber nehmen müsse, ob weiterhin die Auflagen der „Institutionen“ befolgt werden müssen. Wahrscheinlich werde sich dann eine Mehrheit für „Europa“ entscheiden und den Ministerpräsidenten vom Programm seiner Partei entbinden.

Es wird also hier der Vorwurf des Wahlbetrugs erhoben. Allerdings: Vielleicht bestand er – falls es überhaupt dazu kommen sollte – nicht darin, dass Versprechen gebrochen, sondern darin, dass sie gemacht wurden. Angesichts der Kräfteverhältnisse in Europa war auch vor der Wahl vom 25. Januar 2015 klar, dass Griechenland sich zumindest kurzfristig nicht aus der Umklammerung durch die Troika werde lösen können. Die Wählerinnen und Wähler wurden dabei nicht einmal betrogen, denn auch sie hätten das wissen müssen.

Und dennoch waren das Wahlversprechen von Syriza und die Bereitschaft von Millionen, ihr die Stimme zu geben, alternativlos, wollte man das alte Regime von PASOK oder Nea Demokratia nicht beibehalten. (Die Kommunistische Partei Griechenlands erklärt, die gegenwärtige Krise sei nur jenseits des Kapitalismus zu überwinden. Das ist irgendwie auch ein Wahlversprechen, aber eines, das in den nächsten 490 Jahren wahrscheinlich nicht wird gehalten werden können.)

Denkbar ist immerhin, dass Syriza nicht eingeknickt ist, sondern nur einen kurzfristigen taktischen Rückzug angetreten hat, auf den ab Juni die hauptsächliche Auseinandersetzung folgen muss. Noch vor der Abstimmung des Deutschen Bundestages hat Finanzminister Varoufakis das Thema Schuldenschnitt wieder angesprochen und erklärt, die von der griechischen Regierung vorgelegten neuerlichen „Reform“versprechen seien absichtlich vage gehalten. Dadurch habe man die Zustimmung der Parlamente, die über die Verlängerung der Hilfszahlungen zu entscheiden hatten, nicht gefährden wollen. Mit anderen Worten: konkretere Zusagen hätten ohnehin nicht eingehalten werden können. Über sie wird also der nächste Kampf geführt werden müssen.

Macht Varoufakis sich Hoffnungen darauf, dass dann die Bedingungen für Griechenland besser sein werden? Vielleicht erwartet er sich Entlastung von den spanischen Wahlen im November. Gewinnt dort Podemos, haben die „Institutionen“ ihr nächstes Problem: zwei Länder des europäischen Südens sind vielleicht schwerer zu erpressen als eines.

Allerdings wissen dies die Verfechter des bisherigen Euro-Kurses auch. Sie könnten ein Interesse daran haben, Tsipras in den nächsten Monaten derartig zu demontieren, dass die Wählerinnen und Wähler in Spanien seine Politik für aussichtslos halten und noch vor der Wahl von Podemos abfallen.
Das ist nicht zwangsläufig. Mit entscheidend kann sein, wie die Polemik gegen die Sparpolitik in der öffentlichen Auseinandersetzung inhaltlich gefüllt werden wird. Sie konzentriert sich fälschlicherweise bisher (ebenso wie die Diktate der Troika) einseitig auf die Ausgabenseite. Dass Pablo Iglesias jetzt zusammen mit Thomas Piketty aufgetreten ist, könnte zur Qualifizierung der Opposition gegen die „Institutionen“ beitragen.

Georg Fülberth lebt in Marburg an der Lahn. Er war an der dortigen Universität Professor für Politikwissenschaften. Sein „Seziertisch“ erscheint in Lunapark21 seit der ersten Ausgabe Anfang 2008.

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