Die Bundesregierung diktiert in der EU, ist aber auch Statthalter von US-Interessen

Werner Rügemer. Lunapark21 – Heft 22

Der Euro und die EU sind gleichermaßen gescheitert, jedenfalls wenn wir die Kriterien Volkswohlfahrt, Demokratie und Frieden anlegen. Allerdings liegen die Ursachen des Scheiterns keineswegs alleine in der EU selbst. Sowohl die fundamentalistischen Verteidiger des Euro wie auch die Befürworter des Austritts aus dem Euro verdrängen oder verkennen die Rolle der USA.

So nennen Heiner Flassbeck und Costas Lapavitsas in ihrem Vorschlag zum Austritt der besonders betroffenen Krisenstaaten wie Griechenland, dass mehrere mit dem Euro zusammenhängende Praktiken geändert werden müssen wie z.B. das Lohndumping. Das ist sicherlich notwendig. Allerdings meinen sie, dass nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems „das Ende der US-Dominanz“ eingeleitet worden sei.[1] Sodass also die Europäer ihre Währungsangelegenheiten, also jetzt den Euro, alleine regeln könnten.

Das ist jedoch nicht der Fall. Bretton Woods war nach dem 2. Weltkrieg das internationale Währungssystem mit der Leitwährung US-Dollar. Zum System gehörte aber u.a. auch der Internationale Währungsfonds IWF. Und er war und ist bis heute die Finanzinstitution der UNO. Hier haben die USA das alleinige Vetorecht. Auch nach dem Ende der Leitwährung Dollar besteht der IWF bekanntlich weiter und regiert als Mitglied der „Troika“ in der EU ganz selbstverständlich mit.

Und die USA haben nach Bretton Woods ihre globale Finanzherrschaft mit neuen Instrumenten ausgebaut. Der Euro wurde anfangs als Alternativwährung zum Dollar ausgegeben, und die EU präsentierte sich als eigenständiger Konkurrent der USA. Aber die europäischen Akteure haben sich scheinbar unmerklich in das US-beherrschte „westliche“ System integriert, um global mitmischen zu können, gegenwärtig z.B. mit und gegen China und Russland.

Da spielt nicht zuletzt die Militärmacht USA eine Rolle. Nicht zufällig haben die Bundesregierungen, auch nach der Aufhebung des Besatzungsstatuts 1990, dem US-Militär erlaubt, verfassungs- und menschenrechtswidrig Einsätze von deutschem Boden aus zu organisieren, gegenwärtig die Ermordung von „Terrorverdächtigen“ in Afrika durch Africom in Stuttgart und Ramstein. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bricht die Verfassung (Todesstrafe ist abgeschafft, Rechtsstaat).[2] Warum sollen dann nicht auch andere US-Akteure in der EU unter der Hand ihren Interessen nachgehen können?

Bekanntlich hätte Griechenland aufgrund seiner hohen Staatsschulden, die die „Maastricht-Kriterien“ verletzten, nicht in die Eurozone eintreten können.

Es war niemand anders als die US-Investmentbank Goldman Sachs, die 1999/2000 mithilfe von Londoner Briefkastenfirmen und Finanzmanipulationen die griechische Staatsschuld kosmetisch passend gemacht hat. Die US-Ratingagenturen haben Griechenland hochgeratet, Griechenland wurde in den Euro aufgenommen. Danach hat Goldman Sachs mehrere Tranchen griechischer Staatsanleihen an Investoren weiterverkauft und die Verschuldung Griechenlands hochgetrieben. Bekanntlich waren es dieselben Ratingagenturen, die dann Griechenland herabgestuft haben, höhere Zinszahlungen bewirkt und das Land innerhalb kurzer Zeit in eine noch höhere Verschuldung getrieben haben. Nach dem IWF-„Rettungs“-Muster – erst große Kredite vergeben, dann das Land enteignen und den internationalen Investoren zum Fraß vorlegen – wird seitdem Griechenland traktiert. Genauso wird mit den europäischen „Südstaaten“ verfahren, im Prinzip aber auch mit den anderen EU-Staaten einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, wenn auch (noch) mit geringerer austerity-Intensität.
Griechenland, Irland, Italien usw. hätten mit Beginn ihrer durch die Kreditgeber und die Ratingagenturen festgestellten Bonitätsverschlechterung gerettet werden können: Wenn die EZB sofort Staatsanleihen dieser Länder aufgekauft hätte. Sie hätte also nur das machen müssen, was die Zentralbank der USA, Federal Reserve Bank, für den Staat USA auch macht: „Geld drucken“ (ähnlich tun es die britische und japanische Zentralbank).

Weil die EZB das aber aufgrund ihres Statuts nicht tat, wurde und wird die Krise verlängert und verschärft, und zwar unter wesentlicher Mitwirkung des IWF und angelsächsischer Euro- und Staatsanleihespekulanten. Die Folgen: Der Staat wird enteignet (Privatisierungen), ebenso werden die erarbeiteten und vereinbarten Einkommen, Besitzstände und Vermögen von Lohnabhängigen, Rentnern, Arbeitslosen, aber auch von kleineren Unternehmen, Häuslebauern und – Zypern als Beginn – von Kontoinhabern enteignet.

Die EZB ist zugunsten der angloamerikanischen Großspekulanten kastriert. Das gilt unabhängig davon, ob sie wie gegenwärtig direkt von dem Goldman Sachs-Banker Mario Draghi geleitet wird oder von einem anderen. Jeder leitende EZB-Banker arbeitet nach dem Vorbild der US-Investmentbanken und des IWF.

Deshalb wird die Bundesregierung zur „Lösung“ der „Eurokrise“ seit Beginn routinemäßig vor allem von Goldman Sachs beraten, weit vor Deutscher Bank, Commerzbank, UBS und Barclays.[3] Und es war die Bundesregierung, die den IWF als Manager der „Eurokrise“ in die Troika hereinholte.

Die traditionelle europäische und auch die deutsche Linke haben sich in das Klischee verbissen, dass das BRD-Kapital das restliche Europa beherrsche. Okay, auf der politisch-medialen Oberfläche sieht das zunächst so aus: die deutsche Kanzlerin als Zuchtmeisterin der EU. Doch die BRD ist in der EU zugleich der Hauptstatthalter für übergeordnete US-Interessen. Das wird auch deutlich, wenn man bedenkt, dass auch die nachrangigen Regierungsberater Deutsche Bank, UBS und Barclays mehrheitlich im Eigentum angloamerikanischer Investoren sind.

So sind auch nicht nur „deutsche“ Unternehmen die Antreiber und Profiteure der Europolitik. So verlagert etwa Siemens eine Produktionsstätte nach Portugal, weil die abgesenkten Arbeitseinkommen in Portugal jetzt noch niedriger sind als die niedrigen Löhne in Ostdeutschland.[4] Aber auch der niederländische Pharmakonzern Unilever verlagert Produktionen und Vertrieb aus Frankreich, Spanien und Deutschland, und zwar nach Griechenland. Der US-Computerhersteller Hewlett Packard baut ein neues Service-Center für Osteuropa und den Nahen Osten – ebenfalls in Griechenland.[5]

Weil es so „normal“ geworden ist, denken auch Linke gar nicht darüber nach, mit wie vielen Instrumenten US-amerikanischer Dominanz die europäische Finanz- und Wirtschaftswelt seit Jahrzehnten reguliert wird, ob gesetzlich abgesichert oder nicht.

Die „Big Three“ der US-Ratingagenturen, von der EU ohne Änderung in ihre Regelwerke übernommen, wurden schon genannt. Die „Big Four“ der US-Wirtschafts „prüfer“ Price Waterhouse Coopers, Ernst & Young, KPMG und Deloitte testieren im staatlichen Auftrag auch die Unternehmens- und Bankbilanzen aller europäischen Konzerne. Sie sind deren Steuer „gestalter“ und zugleich die Lobbyisten bei den europäischen Regierungen und in Brüssel. Die US-Wirtschaftskanzleien mit den Branchenführern Freshfields, White & Case und Clifford Chance schreiben die Bankenrettungsgesetze europäischer Staaten und die Statuten der Euro-Rettungsschirme. US-Investmentbanken haben die Finger drin bei Privatiserungen. US-Unternehmensberater wie McKinsey und Boston Consulting Group sind führend bei Unternehmensfusionen und betrieblichen Umstrukturierungen.

Schließlich: Praktische Hebel für Lohndumping, europaweiten Abbau des Sozialstaats und für die Entdemokratisierung haben auch die US-Investoren und shadow bankers wie Blackrock in der Hand. Sie sind heute die wichtigen Miteigentümer aller deutschen und europäischen Konzerne und Banken. Und gleichzeitig beherrschen sie mit ihren spezifischen, intransparenten Praktiken die Hintergrundspekulationen zum Euro, zu den europäischen Staats- und Unternehmensanleihen.[6]

Daraus wird erkennbar, in welches Finanz- und Herrschaftssystem der Euro eingebettet ist und welche Akteure deshalb ausgeschaltet werden müssen, wenn Europa demokratisch neu begründet werden soll.[7]

Werner Rügemer ist Publizist, Lehrbeauf-tragter an der Universität Köln, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac und von Business Crime Control.
www.werner-ruegemer.de

Anmerkungen:

[1] Heiner Flassbeck / Costas Lapavitsas: The systemic crisis of the Euro, 2013, S. 39

[2] Heribert Prantl, Deutschland, ein Tatort, in: Süddeutsche Zeitung 3.6.2013

[3] Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke Beziehungen von Geschäftsbanken und Investmentbanken zur Bundesregierung, Bundestagsdrucksache 17/12332 vom 14.2.2013

[4] Schaltanlagenbauer fürchten Tod auf Raten, in: Leipziger Volkszeitung 21.3.2013

[5] Die Multis setzen auf Griechenland, in: Handelsblatt 16.11.2012

[6] Werner Rügemer, Deutschland AG aufgekauft. Blackrock statt Deutsche Bank, in: Junge Welt 19.3.2013

[7] S. Werner Rügemer, Das Euro-Projekt ist gescheitert. Plädoyer für einen demokratischen europäischen Konvent, Lunapark21, Heft 17/2012.

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