Arbeitskämpfe bei Amazon in Deutschland

Streikende und kreative Kundschaft für Tarifvertrag und Respekt!
Anton Kobel. Lunapark21 – Heft 28

Seit dem 9. April 2013 streiken immer wieder Beschäftigte in deutschen Amazon-Niederlassungen für ihre Forderungen. Ziel ist ein mit ver.di abgeschlossener Tarifvertrag, der die gängigen, regionalen Tarif-Regelungen des Einzel- und Versandhandels beinhaltet. Neben der untertariflichen, oft nicht die Existenz sichernden Bezahlung spielen weitere Faktoren eine wichtige Rolle:
• Geringe Wertschätzung, mangelnder Respekt sowie Dauerkontrolle der Beschäftigten.
• Große Unsicherheiten für die vielen befristet Beschäftigten.
• Erhöhung der Löhne und Gehälter nach Gutsherrenart: Amazon entscheidet alleine, ob, wann und wie viel es mehr gibt – ohne Gewerkschaft, ohne Tarifvertrag.
• Angesichts des hohen, überwachten Leistungsdrucks und krankmachender Arbeitsbedingungen ist der Krankenstand mit 15-20 Prozent außergewöhnlich hoch.
In Deutschland arbeiten in neun Versandhandelszentren rund 15000 Stammbeschäftigte, davon 9000 unbefristet und 6-7000 befristet Beschäftigte sowie je „nach Bedarf“ ca. 14000 Saisonkräfte. Durch die Weigerung, den Einzel- und Versandhandelstarifvertrag anzuwenden, „spart“ Amazon beträchtliche Personalkosten:
• Die 10,11 Euro Einstiegslohn bei Amazon bedeuten 1698 Euro brutto Monat gegenüber 2098 Euro tariflich,
• 400 Euro Weihnachtsgeld statt 1311 Euro tariflich,
• Kein Urlaubsgeld und 28 Tage, statt 1182 Euro und 30 Tage Urlaub,
• 38,75 Stundenwoche für Gewerbliche/40 Stunden für Angestellte und Azubis statt 37,5 Stunden.

Amazon – ein gewaltiger Gegner
120000 Beschäftigte erarbeiteten 2013 einen weltweiten Umsatz von 56 Milliarden Euro. Seit 1994 stieg durch deren Hände Arbeit das Vermögen des Gründers Jeff Bezos auf ca. 25 Milliarden US-Dollar. In Deutschland kam Amazon 2013 auf 7,7 Milliarden Euro Umsatz, ist damit die absolute Nr.1 im online-Handel: Das Dreifache an Umsatz gegenüber Otto und das Achtfache gegenüber Zalando, den wichtigsten Konkurrenten. Zwecks „kreativer Steuervermeidung“ ist Amazon.de eine 100%ige Tochter der europäischen Holding in Luxemburg. Mit dieser wirtschaftlichen Macht und dem ständig steigenden Marktanteil entscheiden die Arbeitsbedingungen und eine Tarifbindung bei Amazon auch über die Situation in der ganzen Branche.

Inzwischen fanden von ver.di ausgerufene Streiks unterschiedlicher Dauer an den fünf Standorten Bad Hersfeld, Leipzig, Graben (Bayern), Rheinberg und Werne (beide NRW) statt. Die Struktur der Belegschaften erschwert Arbeitskämpfe. Derzeit beteiligen sich daran ungefähr ein Drittel, ein Drittel ist gegen Streiks, ein Drittel – vor allem die befristet Beschäftigten – hat Sympathie, hofft jedoch durch Nichtteilnahme auf eine Weiterbeschäftigung. Bemerkenswert sind die Kontakte zu und Besuche bei Amazon-Belegschaften u.a. in Frankreich und Polen. Aufsehen erregte am 7.11.2014 eine Drohne, die in Leipzig symbolisch einen Tarifvertrag brachte.

Solidarität – jetzt auch mit Postkarte
Zahlreiche Formen der Solidarität sind entstanden: Leserbriefe, Blogs, Schreiben und Beschwerden an Amazon, Fahrten zu den Streikenden, Spenden und Veranstaltungen. In Kassel organisiert ein reger Solidaritätskreis Aktionen, in Leipzig ist ein „Solidaritätsbündnis“ aktiv. Eigenwilliges Verhalten von Kundschaft verschafft Amazon Arbeit und Kosten: Bestellungen mit mehreren Artikeln werden ausgepackt, begutachtet und getrennt zurück geschickt. Diese Retouren sind für alle Versandhändler ein Gräuel, da personal- und sachkostenintensiv.

Am 2. Dezember wurde eine Postkartenaktion für die Streikenden bei Amazon gestartet. 85 Erst-UnterstützerInnen aus vielen Teilen der Gesellschaft – bundesweit Prominente und lokal Aktive, aus Wissenschaft, Politik und Kunst rufen dazu auf, dem Amazon-Deutschland-Chef Ralf Kleber eine Postkarte zu schicken. Dadurch unterstützen sie die Forderung nach einem Tarifvertrag und die Kraft der Streikenden. Amazon soll begreifen, dass der Konzern es nicht nur mit den Streikenden und deren Gewerkschaft ver.di, sondern auch mit solidarischen Menschen aus der Zivilgesellschaft zu tun hat. Bekannte Menschen aus Politik, Medienwelt und Kultur bekunden ihre Solidarität mit den Streikenden bei Amazon. Angesichts der Bedeutung dieses Arbeitskampfes für die Beschäftigten, ver.di und die gesamte Branche Einzelhandel ist weitere Solidarität notwendig.

Die Postkarten können kostenlos bezogen werden bei: Redaktion express / AFP e.V. · Niddastraße 64 · 60329 Frankfurt · express-afp@online.de · t: 069-679984; über eine Spende für Druck- und Versandkosten würden wir uns freuen. Bankverbindung für Spenden: Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der politischen Bildung (AFP e.V.), Sparda-Bank Hessen, BIC: GENODEF1S12, IBAN: DE28 5009 0500 0003 9500 37; Stichwort: Soli-Postkarte
Weitere Informationen und Liste der UnterstützerInnen auf www.labournet.de/branchen/dienstleistungen/handel/handel-amazon/kundensolidaritaet-mit-dem-streik-bei-amazon-postkartenaktion-solidaritaet-mit-den-streikenden-bei-amazon/

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