23 Jahre Postprivatisierung

Seit kurzem bekomme ich an meinem Wohnort etwas außerhalb von Berlin nur noch alle paar Tage Post. Briefe und Pakete sind teilweise mehrere Wochen unterwegs. Wegen des Krankenstandes fehlten zu viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, heißt es.

Das könnte schon bald der Normalfall werden: Das Unternehmen testet nämlich probehalber (1) schon jetzt bei einigen Kunden auch ganz geplant, Briefsendungen nicht mehr täglich auszuliefern. Noch ist die Post eigentlich per Gesetz dazu verpflichtet, jeden Tag Briefe zuzustellen; sie will sich aber offensichtlich für eine neue gesetzliche Regelung stark machen, mit der diese Verpflichtung aufgehoben würde. Die Post begründet dies mit dem stetig sinkenden Aufkommen an Briefen, die immer mehr durch elektronische Post ersetzt würden. Tatsächlich ist die Zahl der in Deutschland verschickten Briefe aber über die letzten 20 Jahre erstaunlich konstant (2)  geblieben – auch wenn diese nicht mehr alle mit der Deutschen Post AG versandt werden.

Mit der gleichen Begründung des abnehmenden Versands wurde das Briefporto in den letzten Jahren massiv angehoben: Währen der Standardbrief seit bis 2012 stabil 55 cent kostete, wurde das Porto in den Jahren 2013 bis 2016 jährlich erhöht und beträgt nun mit 70 cent über ein Viertel mehr. Noch sehr viel spürbarer für die Kundschaft ist aber der Abbau der Infrastruktur: Die klassische Postfiliale – früher das Postamt – gibt es inzwischen kaum noch. Viele kleinere Orte haben überhaupt keine Filialen mehr, andere nur noch Postagenturen, die meist in andere Läden integriert sind und meist nicht das ganze Spektrum an Dienstleistungen anbieten. Aber auch das Netz der Briefkästen und die Leerung derselben wurden insbesondere in den ersten zehn Jahren nach der Privatisierung stark reduziert.

Als die Post Anfang der 1990er Jahre in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, war das Versprechen dieser Privatisierung wie so oft ein völlig anderes: Die Qualität sollte steigen und die Preise gleichzeitig sinken. Der Markt führe zu mehr Effizienz und deswegen besserer Leistung für weniger Geld, so der verbreitete neoliberale Glaube.

Die Post befindet sich inzwischen – über die Investitionsbank KfW – nur noch zu gut einem Fünftel im staatlichen Besitz, und alle paar Jahre werden weitere Aktienpakete verkauft. Es sind auch tatsächlich einige Konkurrenten ins Spiel gekommen. Zumindest in Großstädten liefern inzwischen mehrere Postdienstleister parallel Briefe aus, und der Markt der Paketdienstleister ist – vor allem getrieben durch den zunehmenden Onlinehandel und den dadurch rasant wachsenden Markt – noch sehr viel bunter. Die anderen Unternehmen liefern Briefe jedoch in der Regel nur in begrenzten Regionen aus. Es ist ein recht fragwürdiger Markt, der solche Rosinenpickerei explizit erlaubt, während man von der „gelben“ Post erwartet, dass sie auch auf den nordfriesischen Halligen und der Zugspitze regelmäßig Post zustellt. Die Querfinanzierung der aufwändigen Auslieferungen durch das leicht verdiente Geld der Auslieferung in den Ballungszentren ist dadurch immer weniger möglich.

Der Kostendruck durch diesen Wettbewerb hat unter anderem dazu geführt, dass die Mitarbeiter unter einem hohen Druck stehen. Pakete werden inzwischen über Regionalgesellschaften ausgeliefert, die nicht an die Tarifverträge der Muttergesellschaft gebunden sind. Und viele der Paketboten sind inzwischen Scheinselbständige, die mit ihrem eigenen Fahrzeug – oft aus den Altbeständen der Post/DHL – Pakete ausliefern und nur noch pro ausgeliefertem Paket bezahlt werden. Damit ist ein Großteil des Risikos auf die schwächsten Glieder ausgelagert, die die vielen Pakete aus dem Onlinehandel an die Kundschaft – oder oft auch nur in Läden in der Umgebung – ausliefern. Dieser Druck führt im Übrigen auch zu erheblichen Sicherheitsproblemen vor allem in den Städten: Auslieferungsfahrzeuge der verschiedenen Paketdienste stehen oft im Halteverbot, auf Fahrrad- und Fußwegen, und durch die oft unter Zeitdruck stehenden Auslieferer gibt es besonders viele Unfälle.

Solche Probleme sind für das inzwischen als Deutsche Post DHL Group bezeichnete Unternehmen aber wohl nur noch Kleinigkeiten, denn der Konzern versteht sich inzwischen als „Global Player“. Das Unternehmen ist Weltmarktführer in den Bereichen Luft-, See- und Kontraktlogistik und hat einen Jahresumsatz von 57 Milliarden Euro. Das nationale Briefgeschäft spielt zwischen den Umsätzen mit Onlinewerbung und internationaler Logistik inzwischen nur noch eine untergeordnete Rolle. Man kann das als Erfolgsgeschichte lesen – oder als Niedergang eines öffentlichen Dienstleisters, der früher einmal für seine Zuverlässigkeit bekannt war.

(1) http://www.general-anzeiger-bonn.de/news/wirtschaft/nrw/Briefe-nur-einmal-in-der-Woche-article3642337.html
(2) Daten: Statist. Bundesamt:

 

Bernhard Knieriem ist Mitglied der Redaktion von Lunapark21.

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