Heft 29: Hellas 2015: EU-Krise & EU-Erpressung

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Tisch 29: tischkante

Klare Kante

Heft 29 - der Tisch- tischkante

„Wer bei Verhandlungen knallhart auftritt, gelangt eher zum Ziel. Das fanden Forscher in einer Studie heraus. Bei Verhandlungen kann es sich rächen, dem anderen zu früh entgegenzukommen. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher der Universitäten in Lüneburg und Münster, die Daten von 7000 Probanden auswerteten. Wer Erfolg haben will, sollte demnach knallhart auftreten und Zugeständnisse, wenn überhaupt, nur nach zähem Ringen machen. Der Erfolg dieser Strategie beruhe darauf, dass dem anderen früh klargemacht wird, dass er nicht auf zu viel hoffen darf und seine Erwartungen herunterschrauben sollte. Besonders wirksam ist dies aber nur, wenn sich die Partner sehen können. Per Telefon oder E-Mail hatte die Strategie weniger Erfolg. Die Gesprächsführung sollte aber auch auf das Ergebnis abgestimmt werden: Ist Partnern wichtig, dass das Resultat die zwischenmenschliche Beziehung nicht beschädigt, können Zugeständnisse durchaus sinnvoll sein. Steht der ökonomische Erfolg im Vordergrund, ist die harte Linie erfolgsversprechender.“

Eine dpa-Meldung aus dem Februar 2015, basierend auf einem Bericht in der Zeitschrift Psychologie Heute. (Siehe auch hier im Heft auf Seite 30 „Mit Geheimdienstmethoden gegen die GDL“)

[kolumne winfried wolf] Der VW-Skandal als Skandal Automobilität

Aus: LunaPark21 – Heft 31

Die Führung des VW-Konzerns musste eingestehen, weltweit bei rund 11 Millionen Diesel-Pkw eine spezifische Software zur „Abgas-Nachbehandlung“ so programmiert zu haben, dass diese Pkw bei Schadstoffmessungen auf dem Prüfstand auf einen spezifisch sparsamen Modus schalten, so dass während der Tests deutlich niedrigere Abgasemissionen gemessen werden als im normalen Fahrbetrieb. Die speziell manipulierte Software würde – so VW im schriftlichen Eingeständnis gegenüber der US-Umweltbehörde EPA – „seit mindestens sechs Jahren“ eingesetzt. Sie sei gezielt zu dem Zweck verwandt worden, die Behörden „zu täuschen“. Betroffen sind Pkw der Marken VW, Audi, Seat und Skoda. In Deutschland geht es um 2,8 Millionen, in Österreich um 62000 VW-Pkw. Die Schweizer wissen es besonders genau: betroffen sind hier 128802 Autos.

Der Skandal wurde zum jetzigen Zeitpunkt eher zufällig publik. Es handelt sich nicht primär um einen VW-Skandal. Es geht um den Skandal Automobilität.

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Reichtum und Fluch der Energievorkommen. Griechenland und die Ressourcenkontrolle im östlichen Mittelmeer

Aus: LunaPark21 – Heft 31

Griechenland könnte offenbar – ebenso wie viele andere Staaten im östlichen Mittelmeer – große Mengen Öl und Gas fördern. Die Rede ist von einem „neuen Persischen Golf“. Doch das Thema ist nicht wirklich neu. Schon seit vielen Jahrzehnten kommt es immer wieder zu Ankündigungen zur Vergabe von Förder-Konzessionen, nicht aber zur Energiegewinnung im großen Stil. Offenbar soll das so sein.

Der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei hat historisch weit zurückreichende Wurzeln. Kaum jemand versteht aber, warum sich

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Die offene Wunde: Das „linke“, dritte Memorandum für Griechenland und seine rechten Auswirkungen

Aus: LunaPark21 – Heft 31

Es ist kein Text für Ästheten. Das dritte Memorandum of Understanding (MoU), das die Bedingungen der Gläubiger festsetzt, welche Griechenland im Austausch für das dritte Hilfspaket von 86 Milliarden Euro erfüllen muss, ist trockene notarielle Prosa: die Kapitulationsurkunde der Schuldner.

Gleichwohl ist das Papier mit aufklärerischen Begriffen (soziale Gerechtigkeit, Gleichheit, etc.) gespickt – so wie manche Dekrete des klassischen Kolonialismus, deren Verfasser die Kolonisierten wie sich selbst vom Segen der Kolonisierung überzeugen wollten.

Die Misere beginnt schon auf Seite 1 der 29seitigen Einleitung des Memorandums, das den eigentlichen Kreditvertrag für die 86 Milliarden begleitet und ergänzt. Dort ist zu lesen:

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Griechenland und die europäische Linke

Aus: LunaPark21 – Heft 31

Unter europäischem Blickwinkel ist zunächst festzuhalten, dass mit Syriza zum ersten Mal seit der Nelkenrevolution in Portugal (1974) wieder eine links orientierte Partei Regierungsgeschäfte in einem EU-Land übernommen hatte.

Damit dies Beispiel nicht Schule macht und auf diese Weise die Kapitalherrschaft in Europa gefährdet, wurde die Syriza-Regierung von Anfang an als „linksradikal“ verteufelt und auf das Schärfste bekämpft. Darin waren sich die politischen Vertreter des europäischen Großkapitals völlig einig.

Gegen diese Phalanx hätte die Syriza-Regierung

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Muss man immer seine Schulden zurückzahlen?

Aus: LunaPark21 – Heft 31

Für manche ist die Frage klar: Schulden müssen immer zurückgezahlt werden, es gibt keine Alternative zum Gang nach Canossa, insbesondere wenn dies in den Marmor europäischer Verträge gehauen ist. Doch ein kurzer Blick auf die Geschichte öffentlicher Schulden, einem interessanten und zu Unrecht vernachlässigten Thema, zeigt, dass die Sache wesentlich komplexer ist. Erste gute Nachricht: Man findet in der Vergangenheit noch höhere öffentliche Schulden als die derzeit beobachteten, und man hat immer eine Lösung gefunden unter Rückgriff auf die verschiedensten Methoden. Zu unterscheiden ist einerseits die langsame Methode, die darauf abzielt, geduldig Budgetüberschüsse anzusammeln, um nach und nach die Zinsen abzubezahlen und anschließend die eigentlichen Schulden, und andererseits eine Reihe von Methoden mit dem Ziel, den Prozess zu beschleunigen: Inflation, Sondersteuern oder ganz einfach ein Schuldenschnitt.

Ein besonders interessanter Fall ist derjenige von Deutschland und Frankreich, die

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[interview] „Mit kühlem Kopf und heißem Herz zum Erfolg“

Interview mit Claus Weselsky, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), in: LunaPark21 – Heft 31

Am 23. Juni 2014 legte die GDL ihre Forderungen in der damals aktuellen Tarifrunde vor. Ein Jahr und eine Woche später, am 30. Juni 2015, unterzeichneten dann Sie für die GDL und Ulrich Weber für die Deutsche Bahn AG u.a. 14 Tarifverträge. Hatten Sie damit gerechnet, dass dies eine derart lange und harte Tarifrunde würde?

[CW] Dass dies keine Runde wie die von 2012 werden würde, die relativ friedlich und einvernehmlich über die Bühne ging, war uns vorher klar, schließlich lief der Grundlagentarifvertrag aus und die Arbeitgeberseite hat bereits 2013 begonnen, uns einfangen und der Tarifhoheit ihrer Hausgewerkschaft [gemeint ist die EVG; d. LP21-Red.] unterordnen zu wollen. Dass uns der Arbeitgeber mit seiner extremen Verweigerungshaltung allerdings neun Streiks aufzwingen würde, haben wir nicht erwartet, das war eine bisher ungekannte Qualität. Gar nicht zu reden von dem, was außerdem noch auf uns zukam: Die mediale Verrohung erreichte einen Grad, den ich persönlich nicht für möglich gehalten habe. Das ging sehr weit und überstieg fast das zumutbare und aushaltbare Maß – für die GDL, aber auch für mich persönlich.

Die lange Dauer des Arbeitskampfes und seine Härte sprechen dafür, dass dieser eine besondere, vielleicht eine historische Dimension hatte. Wie würden Sie – verkürzt – den Charakter der Auseinandersetzung auf den Punkt bringen?

[CW] Da ging es schon ums Ganze. Arbeitgeber und Bundesregierung wollten an der GDL exemplarisch die Tarifeinheit durchexerzieren: Wir waren das Pilotprojekt zur Entmachtung der Berufsgewerkschaften. Erst hat uns die Bahn provoziert, um durch unsere Streiks die Begründung für das Tarifeinheitsgesetz zu liefern, und dann versuchte sie, durch Täuschen, Tricksen und Hinhalten das rettende Ufer zu erreichen – sprich, das Inkrafttreten des Gesetzes. Dabei hat sie in unverantwortlicher Weise rund 500 Millionen Euro verbrannt und besitzt jetzt auch noch die Frechheit, dafür der GDL die Schuld in die Schuhe schieben zu wollen. Die in der Schlichtung im Sommer2015 erzielten Ergebnisse wären auf dem Verhandlungswege schon im September 2014 zu erreichen gewesen.

Konnten Sie die GDL-Mitgliedschaft in dem langen Kampf mitnehmen und von den Ergebnissen überzeugen? Die Medien waren ja voll von Mutmaßungen darüber, dass es eine Streikmüdigkeit geben würde. Und in Teilen der GDL-Basis – ich kenne etwas die Situation in Berlin – gab es auch die Stimmung, es wäre mehr drin gewesen.

[CW] Die Wünsche mancher Medienvertreter nach „Streikmüdigkeit“ haben die GDL-Mitglieder zu keiner Zeit erfüllt, im Gegenteil.Mit der ersten Urabstimmung haben uns die Mitglieder einen klaren Streikauftrag erteilt und damit über neun Arbeitskämpfe hinweg den Widerstand des Arbeitgebers erst zermürbt und dann gebrochen. Beim letzten Streikaufruf im Mai hatten wir am ersten Tag mit 3600 Kolleginnen und Kollegen die höchste Beteiligung überhaupt – Müdigkeit sieht anders aus. Im Übrigen haben die GDL-Mitglieder das Tarifergebnis in der zweiten Urabstimmung Anfang September mit 94 Prozent angenommen. Natürlich gibt es hier und da einige Unzufriedene, die der Überzeugung sind, über längere Streiks hätte man hier noch mehr rausholen können. Aber jeder weiß doch, dass Kompromisse auch immer die politische Kunst des zu diesem Zeitpunkt Machbaren beinhalten. Die klare Botschaft unserer Mitglieder war auch ein Dankeschön an die gesamte GDL-Mannschaft für klare Positionen und Standfestigkeit.

Seitens der Gewerkschaft EVG wird behauptet, die GDL hätte gerade mal die Ergebnisse aus dem Tarifvertrag übernommen, den die EVG zuvor mit der Bahn schloss. Das mit der Arbeitszeitverkürzung könne man vergessen, da es dazu erst 2018 kommen soll. Und eine Überstundenabbauvereinbarung gäbe es im EVG-Bereich ja längst – wobei hier auf die Ereignisse vom Sommer 2013 in Mainz verwiesen wird. Danach haben sich die GDL-Kollegen unnütz abgestrampelt.

[CW] Das sieht auf den ersten Blick so aus, weil wir die gleichen prozentualen Erhöhungen wie die EVG akzeptiert haben. Allerdings liegen wir bei einer ganzen Reihe zusätzlicher Tarifergebnisse wesentlich über dem EVG-Abschluss. So haben wir die Entgelttabelle der gesamten Zugpersonale um eine weitere Berufserfahrungsstufe, nämlich 30 Jahre mit 40 Euro pro Monat, ergänzt. Sämtliche Öffnungsklauseln zu Ungunsten der Zugpersonale wurden von uns abgelehnt und nicht unterschrieben, damit die Arbeitsverdichtung aufgebrochen wird. Wir haben die Überstundengrenze bei 80 Stunden absichtlich als individuelles Recht der Zugpersonale tarifiert. Dies ist eine vollkommen andere Qualität, was den Schutz vor Überlastung betrifft. Und wo wir von einer ganz anderen Qualität sprechen: Zum ersten Mal haben wir Tarifverträge für das gesamte Zugpersonal erzielt. Mit der Tarifierung der Lokrangierführer haben wir auch die Zweiklassengesellschaft bei den Lokomotivführern beendet. Außerdem wurde die zusätzliche Einstellung von 300 Lokomotivführern und 100 Zugbegleitern vereinbart. Schlussendlich wird ab 1.1.2018 die Wochenarbeitszeit um eine Stunde abgesenkt. All das findet man im Abschluss der EVG gar nicht, weil die EVG es auch gar nicht gefordert hatte, was normal ist für eine handzahme Hausgewerkschaft. Diese zusätzlichen Tarifergebnisse sind Resultate der Streiks und der harten Schlichtungsverhandlungen.

Kritisch eingewandt wird, im GDL-Tarifabschluss verberge sich ein gefährlicher Haken: das Recht auf einseitiges Einberufen einer Schlichtung. Damit könne der Arbeitgeber jede Kampfmaßnahme der GDL ausbremsen.

[CW] Den Tag werden Sie nicht erleben, an dem jemand die GDL ausbremst. Es stimmt: Zwischen uns und der Bahn ist mit Laufzeit bis 2020 vereinbart, dass jede Seite nach gescheiterten Verhandlungen oder einem angekündigten Streik eine Schlichtung einberufen kann. Allerdings handelt es sich hierbei um eine „unverbindliche Schlichtung“, bei der keine der beiden Parteien verpflichtet ist, das Schlichtungsergebnis auch anzunehmen. Da sehen Sie, wie schnell aus dem Haken ein Häkchen wird.

Wo liegt die Bedeutung des GDL-Tarifabschlusses über die Deutsche Bahn hinaus – im Bereich des gesamten Schienenverkehrs?

[CW] Mit der unternehmensübergreifenden Schaffung eines Flächentarifvertrags für alle Eisenbahnverkehrsunternehmen gibt es erstmals für alle Zugpersonale im Wettbewerb einheitliche Schutzmechanismen. Mit klaren Standards hinsichtlich Entgelt, Arbeitszeit und Qualifikation haben wir dem branchenweiten Wettbewerb über Lohndumping auf Kosten der Beschäftigten einen weiteren Riegel vorgeschoben und den Menschen mehr Planungssicherheit für ihr Privatleben verschafft. Und mit der Durchsetzung beider Betreiberwechseltarifverträge haben wir außerdem Arbeitsplatzsicherheit für die Zugbegleiter im Regionalverkehr geschaffen.

Die Deutsche Bahn zog Ende 2014 zwei Mal vor Gericht, um Streiks der GDL untersagen zu lassen. Sie argumentierte dabei unter anderem damit, dass der durch die Streiks angerichtete Schaden unverhältnismäßig sei und dass die GDL für andere Ziele, z.B. gegen das Tarifeinheitsgesetz bzw. für eine Ausweitung der eigenen Gewerkschaft in Bereiche hinein, die bislang ganz oder weitgehend durch die EVG abgedeckt waren – und damit quasi politisch – streike. Die DB unterlag dabei in zwei Instanzen; das Frankfurter Arbeitsgericht und das Hessische Landesarbeitsgericht entschieden, die Streiks seien rechtmäßig. Jetzt gab es – erneut in Frankfurt/Main – ein Urteil, wonach die Streiks der Lufthansa-Piloten unzulässig seien. Hatte die GDL Glück, die besseren Anwälte oder gilt halt der Spruch von der allgemeinen Unsicherheit, die es „auf hoher See und vor Gericht“geben würde?

[CW] Ein bisschen Glück gehört einerseits dazu, andererseits waren wir fachlich hervorragend vertreten durch Rechtsanwalt Gross und unseren Leiter der Tarifabteilung Thomas Gelling. Die Tricks der Arbeitgeberseite gingen ins Leere. Und im Ergebnis waren unsere Streiks rechtmäßig, zulässig und verhältnismäßig. Ganz offensichtlich ist bei der aktuellen Bewertung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts bei den Piloten eine Abkehr von der ausschließlich rechtlichen Bewertung der Streikziele und des Streiksaufrufs zu verzeichnen. Wir wissen von den Kollegen von Cockpit persönlich, dass sowohl die Streikziele als auch die Streikaufrufe eindeutig gewesen sind. Zum ersten Mal wurde beim LAG eine Deutung hinsichtlich weiterer Hintergrundziele vorgenommen. Dies hätte auch bei uns passieren können, wenn man zum Beispiel unterstellen würde, dass sich unser Arbeitskampf auch gegen die Gesetzgebung zum Tarifeinheitsgesetz richten würde. Genau deshalb waren wir in der heißen Phase der Auseinandersetzung auch nicht bereit, uns in epischer Breite mit dem Tarifeinheitsgesetz zu befassen.

In der Öffentlichkeit wurde vielfach argumentiert, es geht vor allem um eine „Auseinandersetzung zwischen zwei Gewerkschaften“. Gibt es Chancen für Einigung zwischen der GDL und der EVG und für ein Ende des „Bruderkriegs“?

[CW] Es gibt keine Brüder und also auch keinen Bruderkrieg. Wir sind eine Berufsgewerkschaft, hochspezialisiert und organisiert, deswegen auch hart und erfolgreich in der Auseinandersetzung mit den immer unverschämter auftretenden Arbeitgebern. Miteinander reden kann man immer, aber unser Gesprächsbedarf hält sich momentan in Grenzen, wozu auch? Die EVG hat ihren Schwerpunkt in der Infrastruktur, während wir das Zugpersonal vertreten. Eine Befriedung kann erst eintreten, wenn die EVG ihre Position im Eisenbahnverkehrsmarkt begreift, akzeptiert und ihre Verhaltensweise, auch gegenüber der GDL, endlich auf die Realitäten einstellt.

Es gab ja auch in den DGB-Gewerkschaften eine breite Solidarität. Diese zustande zu bekommen und auszubauen war auch das Ziel der „Streikzeitung“, die bewusst mit dem Untertitel „JA zum Arbeitskampf der GDL – NEIN zum Tarifeinheitsgesetz“ auf die gemeinsamen Interessen von Arbeitnehmern im allgemeinen und Gewerkschaftsmitgliedern im Besonderen abzielte.

[CW] Ja, ein weiterer Beweis dafür, dass wir eine breite Unterstützung hatten. Dabei ging dieses Engagement viel weiter. Hier haben sich Menschen uneigennützig eingebracht, Freizeit geopfert und zusätzlich auch noch privates Geld eingebracht für die GDL und ihre Ziele. Das kann man weder mit Geld aufwiegen, noch ist es in der heutigen individualisierten Gesellschaft selbstverständlich. Die Lokomotivführer und Zugbegleiter in unserem Land bedanken sich ausdrücklich für diese Unterstützung und sehen darin auch den Beweis, dass die Basis in anderen Gewerkschaften solidarisch ist und auch gegenüber den Berufsgewerkschaften keine dogmatische Haltung einnimmt. Das ist eine gute Grundlage, um miteinander den Herausforderungen der neuen Zeit gerecht zu werden und sich nicht in ideologischen Grabenkämpfen selbst in Frage zu stellen.

Mit dem neuen Tarifvertrag müssen sich möglicherweise GDL-Mitglieder gegenüber dem Arbeitgeber outen. Das könnte bei dem einen Kollegen und der anderen Kollegin auch kritisch gesehen werden. Nun schreiben Sie in der August-Ausgabe des GDL-Magazin „VORAUS“: „Es gibt nicht den geringsten Grund, mit der Mitgliedschaft in der GDL hinter dem Berg zu halten.“

[CW] Gibt es ja auch nicht, im Gegenteil, unsere Mitglieder können stolz auf das Erreichte und die hohe Solidarität sein. Aber die Sache hat einen ernsten Hintergrund: Wenn die Arbeitnehmer ihre Ansprüche auf die GDL-Tarifverträge mit all ihren Vorzügen nicht geltend machen, könnte der Arbeitgeber auf die Idee kommen, auch weiterhin den für ihn bequemeren Tarifvertrag anzuwenden. Die Anzeige der Tarifbindung, also der gegenüber der DB geltend gemachte gesetzliche Anspruch auf Anwendung der GDL-Tarifverträge auf die eigene Person, ist die einzige absolut rechtssichere Methode zur Sicherstellung der tarifvertraglichen Ansprüche. Wir haben daher unsere Mitglieder aufgerufen, die entsprechenden Vordrucke bei der DB abzugeben. Das ist geschehen. Im Gegenzug hat die DB den Kolleginnen und Kollegen bestätigt, dass die GDL-Tarifverträge auf sie angewendet werden.

Es gab eine massive Medien-Kampagne gegen die GDL, in deren Zentrum Sie als Person standen. „Bild“ war führend bei dieser Kampagne. Erstaunlicherweise brachte dasselbe antigewerkschaftliche Kampfblatt auf dem Höhepunkt des Arbeitskampfes ein fast einseitiges Interview mit Ihnen unter der Überschrift „Wie fühlt man sich als Buhmann der Nation, Herr Weselsky?“, in dem Sie die Position der GDL fast optimal präsentieren konnten. Wie erklären Sie einen solchen Schwenk?

[CW] Die Bild-Zeitung ist zutiefst opportunistisch und will immer auf der Seite der Gewinner stehen. Als klar wurde, dass wir siegreich aus der Auseinandersetzung hervorgehen würden, kam die Bitte um ein Interview. Das war das einzige Interview, das ich der Bild-Zeitung jemals gegeben habe. Da wurde ich innerhalb von ein paar Stunden vom Bahnsinnigen zum Super-Claus. So schnell kann das gehen.

Die Polemik gegen den Kampf der GDL, das Tarifeinheitsgesetz und die aktuelle Stimmung bzw. die richterliche Entscheidung gegen den Pilotenstreik laufen ja auf ein und dasselbe hinaus: auf eine Einschränkung des Streikrechts selbst. Gibt es gegen diese Tendenzen ein Rezept?

[CW] Die GDL-Mitglieder haben der Republik gezeigt, wie weit man mit Solidarität und Engagement kommen kann. Gemeinsam mit ihrer Gewerkschaft haben sie nicht nur einem Arbeitgeber mit totaler Verweigerungshaltung erfolgreich getrotzt, sondern auch die Politik, die im Hintergrund die Strippen zog, in ihre Schranken gewiesen. Und auch den Medien mit ihrer zum Teil unsäglichen Desinformationspolitik haben wir gebetsmühlenartig die Ziele unseres Kampfs dargelegt. Selbst in der heißesten Phase standen die Menschen in diesem Land weitaus stärker zu uns, denn im letzten Arbeitskampf hatten wir noch 54 Prozent Zustimmung. Wir haben den Beweis angetreten, dass die veröffentliche Meinung nicht mit der öffentlichen Meinung übereinstimmte. Das Rezept lautet also: Vertrauen in die Menschen, sie sind klüger als mancher uns weismachen will. Und natürlich kämpfen, solidarisch und erfolgreich sein – mit kühlem Kopf und heißen Herzen!

Für Lunapark21: Winfried Wolf, verantwortlicher Redakteur der „Streikzeitung“, die von November 2014 bis Mai 2015 mit sechs Ausgaben erschien. Siehe: www.pro-gdl-streik14.de

quartalslüge: „Die Sparpolitik begann erste Früchte zu tragen…“

Winfried Wolf in Lunapark21 – Heft 29

In den vergangenen Wochen und Tagen tauchte im Zusammenhang mit der Zuspitzung der politischen und ökonomischen Krise in Griechenland immer wieder eine Behauptung auf, die da lautet: „Und dabei begann doch die Sparpolitik erste Früchte zu tragen….“ Stellvertretend für viele Berichte sei hier die Rheinische Post vom 29. Dezember 2014 – also aus der Zeit vor dem Syriza-Wahlsieg – zitiert: „Die strikte Sparpolitik der Regierung Samaras trug erste Früchte, das Wachstum zog langsam an, die horrende Arbeitslosigkeit begann, ganz leicht zu sinken. Anteil daran hatte neben den gewaltigen Anstrengungen der Griechen selbst mit Lohnkürzungen von 25 Prozent auch die internationale Gemeinschaft, die Athen mit Notkrediten über die Krise half. Dies ist alles in Gefahr, wenn nun vorgezogene Neuwahlen kommen. […] Ein triumphierender Links-Populist Tsipras [ist] Gift für den Erholungskurs.“

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Erpressung pur

Griechenland, deutsche Verantwortung und der Tod eines Siemens-Ehrenmannes
kolumne winfried wolf. Lunapark21 – Heft 29

Port-au-Prince, 13. November 1995, Präsidentenpalast. Präsident Bertrand Aristide redet gegenüber der kleinen Bundestagsdelegation, deren Mitglied ich bin, über „Armut, Analphabetentum und Arbeitslosigkeit in Haiti“. Günther Dahlhoff, deutscher Botschafter im Land, unterbricht Aristide barsch und fragt: „Wie steht es mit den Privatisierungen in Ihrem Land, Exzellenz? Was ist mit dem E-Werk?“ Ich hatte durchaus eine Vorstellung von imperialistischer Politik. Doch so offen erpresserisch hatte ich mir das nicht vorgestellt.

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